taz.de -- Missbrauchsskandal an Odenwaldschule: Verein will Opfer entschädigen

Ehemalige Schüler und Lehrer der hessischen Odenwaldschule gründen den Verein "Glasbrechen" - um das dunkelste Kapitel der Geschichte der Vorzeigeschule aufzuklären.
Bild: An der Odenwaldschule im hessischen Heppenheim wurden mindestens 40 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht.

BERLIN taz | An der Odenwaldschule sind schwere Missbräuche geschehen und über viele Jahre vertuscht worden. Der neue Verein "Glasbrechen" will versuchen, endlich die Perspektive der Betroffenen einzunehmen. Zweck des Vereins ist die "weitere Aufklärung pädosexueller Übergriffe, sowie Hilfe und Unterstützung der Opfer."

Im Odenwald waren an der einstigen reformpädagogischen Vorzeigeeinrichtung mindestens 40 Kinder und Jugendliche teilweise massiv sexuell missbraucht worden, teilweise über Jahre hinweg. Die Fälle reichen von Ende der 60er Jahre bis Anfang der 90er Jahre. Der Vorsitzende des neuen Vereins, Adrian Koerfer, forderte Institutionen und auch die Odenwaldschule selbst auf, jede Form von Unterstützung zu geben. "Der Verein wird finanzielle Mittel akquirieren, um seinen vielfältigen Aufgaben u.a. auch materiell nachkommen zu können", sagte Koerfer der taz.

Die Odenwaldschule hat sich mit der Aufklärung schwer getan und sie teilweise auch behindert. Sie selbst könne allerdings aus juristischen Gründen nicht ohne weiteres Betroffene entschädigen, hieß es. Ihr Trägerverein würde sonst die Gemeinnützigkeit verlieren.

Der neue Verein ist in Gründung und hat derzeit 23 Mitglieder. Er wird kommende Woche seine Anerkennung beantragen. "Glasbrechen" ist ein Bild dafür, dass man an der Odenwaldschule eigentlich hätte sehen können, was geschieht - es aber nötig ist, das Glas zu brechen, um wirklich aufzuklären.

5 Sep 2010

AUTOREN

Christian Füller

ARTIKEL ZUM THEMA

Neuer Bericht zur Odenwaldschule: Missbrauch mit System

Ein Bericht schildert anhand von Einzelschicksalen die institutionelle Gewalt an der Odenwaldschule. Bei den mehr als 130 Fällen von Missbrauch waren besonders Jungs betroffen.

Odenwaldschule im Chaos: Die Rache aus der dritten Reihe

Der jakobinische Furor der Altschüler hat nun schon den zweiten Vorstand der Odenwaldschule gemeuchelt. Kein gutes Omen für Entschädigung und Aufklärung.

Streit um Opfer-Entschädigung: Vorstand der Odenwaldschule wirft hin

Zwei Vorstände der Odenwaldschule geben ihre Ämter auf. Sie hatten für eine zügige Entschädigung der Missbrauchsopfer plädiert. Damit wurden sie aus eigener Sicht zu "Buhmännern".

Missbrauch an der Odenwaldschule: Eine Bedürfnisbefriedigungsanstalt

Die Odenwaldschule, das Vorzeigeinternat der Reformpädagogik, ins Mark getroffen durch systematische sexuelle Missbräuche, wagt den Versuch einer Wahrheitskommission.

Odenwaldschule: Pädophile Netzwerke

Eine Expertenanhörung an der Odenwald-Schule zeigt: Missbrauch findet nicht zufällig statt, die Täter entwickeln beinahe professionelle Strategien und schützen sich gegenseitig.

Odenwaldschule: Gerold Becker ist tot

Einen Tag, bevor an der Odenwaldschule eine Wahrheitskommission über den Missbrauch in den 70er Jahren tagt, stirbt Haupttäter Gerold Becker an einem Lungenemphysem.

Hundert Jahre Odenwaldschule: Verteilsystem für hübsche Knaben

Bereits unter den Gründungsvätern der Odenwaldschule – Paul Geheeb und Gustav Wyneken – herrschte sexuelle Gier, organisatorisches Chaos und Kameradschaft als Falle.

Aufklärung an der Odenwaldschule: Der Kodex des Missbrauchs

Die Odenwaldschule hielt angeblich 100 Jahre lang den Respekt vor dem Kind hoch. In Wahrheit galt in den 70er und 80er Jahren ein Kodex des Zugriffsrechts auf Schutzbefohlene.