taz.de -- Nach Abstimmung über Verfassung: Putschversuch in Madagaskar
Ein Armeeoberst in Madagaskar hat die Machtübernahme durch das Militär verkündet. Unklar ist, wo sich der Präsident befindet. Die neue Führung will alle politischen Gefangenen freilassen.
ANTANANARIVO dapd | Am Tag der Abstimmung über eine neue Verfassung auf Madagaskar hat eine Gruppe von Offizieren nach eigenen Angaben gegen Präsident Andry Rajoelina geputscht, der im vergangenen Jahr selbst in einem putschähnlichen Coup an die Macht gekommen war.
Begleitet von Mitgliedern der Militärführung erklärte Oberst Charles Andrianasoavina die Regierung am Mittwoch für abgesetzt. Die Staatsführung werde nun von einem Nationalkomitee der Streitkräfte übernommen. Alle politischen Gefangenen würden freigelassen. Zum Verbleib von Präsident Rajoelina wurde nichts gesagt.
Oberst Andrianasoavina rief die Bevölkerung zu Ruhe und Ordnung auf. Es wird vermutet, dass sich Rajoelina noch in der Hauptstadt Antananarivo aufhält. Klar scheint, dass er sich ohne Unterstützung des Militärs nicht lange an der Macht wird halten können wird.
Die Streitkräfte waren zuletzt auf Distanz zu dem international isolierten Rajoelina gegangen. Rajoelina war früher Bürgermeister von Antananarivo und lieferte sich im vergangenen Jahr wochenlang einen erbitterten Machtkampf mit gewählten Präsidenten Marc Ravalomanana, dem er die Verschwendung öffentlicher Mittel und die Gefährdung der Demokratie vorwarf. Nach seinem Sturz ging Ravalomanana ins Exil nach Südafrika. Im August verurteilte ein von Rajoelina eingesetztes Gericht den früheren Präsidenten in Abwesenheit wegen Verschwörung zum Mord zu einer lebenslangen Haftstrafe.
Oberst Andrianasoavina rief ausrücklich alle ins Exil gegangene Bürger am Mittwoch zur Rückkehr nach Madagaskar und zur Zusammenarbeit auf, "um das Vaterland zu retten".
Das für Mittwoch angesetzte Referendum war nicht unumstritten, da es Rajoelina die Macht auf unbestimmte Zeit sichern könnte. Kritiker befürchteten im Falle einer Zustimmung der Wähler einen Blankoscheck für den Präsidenten, weil er kein Datum für seinen Rücktritt oder Voraussetzungen für die nächsten Wahlen genannt habe.
Die Abstimmung über die neue Verfassung ging auch nach der Ausrufung des Staatsstreichs zumindest anfangs weiter. Nur wenige Bewohner schienen zunächst etwas von dem Putsch erfahren zu haben.
Die Machtübernahme Rajoelinas im März vergangenen Jahres war damals von den Streitkräften unterstützt worden. Seitdem herrschte auf Madagaskar aber politischer Stillstand. Die Unterstützer von Ravalomanana hatten zu einem Boykott der Abstimmung aufgerufen. In der vergangenen Woche kam es zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Boykott-Befürwortern.
Die USA und die Europäische Union froren nach der Machtübernahme Millionen an Hilfsgeldern ein, da sie das Vorgehen Rajoelinas als Angriff auf die Demokratie werteten. Seitdem unterstützt die EU den Inselstaat im Indischen Ozean nur noch mit Not- und Humanitärer Hilfe.
17 Nov 2010
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