taz.de -- Streit der Woche: "Dekadenz ist Teil meines Lebens"

Zu Weihnachten schnell mit dem Flieger von Berlin nach Köln zur Verwandtschaft? Manchen gilt das als ultimative Ökosünde, andere finden es vor allem praktisch.
Bild: Der Traum vom Fliegen kann auch zu einem Streit ums Fliegen werden.

"Inlandsflüge sind vor allem eines: unpraktisch", spottet der Philosoph Martin Seel in der sonntaz-Diskussion zur Frage, ob Inlandsflüge dekadent sind. Man warte vorm Abflug meist länger als man reise. "Als Normalsterblicher sitzt man beengter noch als im Auto", schreibt Seel.

Die türkischstämmige She-DJ Ipek Ipekcioglu kontert: "Ich lebe prinzipiell gerne dekadent, weil ich mir für getane Arbeit was gönnen will. Da möchte ich nicht fünf Stunden im Zug von Berlin nach Köln sitzen."

Auch das Argument, die Bahn sei ökologischer, lassen nicht alle gelten: "Auf längeren Strecken haben moderne Flugzeuge durchaus eine vergleichbare Umweltbilanz wie die Bahn", schreibt der Pilot und Sprecher des Berufsverbandes Cockpit, Jörg Handwerg, kurz vor der Weihnachtsreisewelle. Er forderte von der Öffentlichkeit eine Revision der Luftfahrt: "Das Image der Fliegerei, in Bezug auf Umweltbeeinträchtigung, ist heutzutage leider noch geprägt aus Zeiten, als Flugzeuge zehnmal mehr Lärm gemacht und schwarze Rußfahnen hinter sich hergezogen haben."

Ute Linsbauer vom "Forum Anders Reisen" sieht das anders: "Eine Flugreise zwischen München und Hamburg verursacht pro Passagier für Hin- und Rückflug 340 Kilogramm klimaschädliche Gase." Bei der Bahn seien es weniger als ein Viertel davon. Deshalb begrüßt sie die neue Flugverkehrssteuer und fordert darüber hinaus, die Einnahmen für einen ökologischen Zweck zu verwenden. Dies sei bislang nicht der Fall."Noch besser als eine nationale Flugsteuer", gibt Linsbauer zu bedenken, "wäre eine internationale Abgabe, zum Beispiel in Form einer Kerosinsteuer."

Gabriele Zimmer, Mitglied des europäischen Parlaments für die Linkspartei, befreit sich dagegen von ökologischen Bedenken: "Um aus tiefster deutscher Provinz nach Berlin, Brüssel oder Wien zu kommen, bin ich auf Unternehmen angewiesen, die nicht nach ökologischem Sinn, Zeit und Effektivität fragen, sondern nach Gewinn", schreibt sie. Es gebe keinen flächen- und bedarfsdeckenden, funktionierenden und wetterfesten Personenfernverkehr von Bahn und Bus in Deutschland. "Inlandsflüge sind notwendig", folgert Zimmer.

Im Streit der Woche äußern sich zudem die Grünen-Europaabgeordnete Franziska Brantner, die eine Fernbeziehung führt und Flugzeuge mit Sonnenkraft fordert. Außerdem der BUND-Flugverkehrsexperte Werner Reh und der Soziologe Sven Kesselring. Auf taz.de stritten LeserInnen um ökologische Folgen, persönliche Dilemmata und die Lobbymacht der Flugwirtschaft.

18 Dec 2010

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