taz.de -- Playoffs in der NFL: Das Arschloch und der Zehliebhaber

Die New York Jets und ihr schillernder Chefcoach Rex Ryan gewinnen den Krieg der Großmäuler. Gegen den großen Favoriten New England gewinnen sie 28:21.
Bild: Auf dem Weg in die nächste Runde nicht aufzuhalten: Jerricho Cotchery, Wide Receiver der New York Jets.

So hatte sich Sebastian Vollmer das wohl nicht vorgestellt. Die Playoffs hatten für den einzigen deutschen Profi in der NFL kaum begonnen, da waren sie auch schon wieder vorbei. Vollmer und die New England Patriots, als überragende Mannschaft der regulären Saison in die KO-Runde gegangen, scheiterten schon am ersten Schritt Richtung Super Bowl: Nach einem Freilos zum Auftakt verlor der große Titelfavorit 21:28 gegen die New York Jets.

Vollmer war daran nicht unschuldig. Der Right Tackle und seine Kollegen in der Offensive Line hatten den gesamten Abend große Probleme, ihrer wichtigsten Aufgabe nachzukommen: Quarterback Tom Brady vor den anstürmenden Verteidigern der Jets zu beschützen. Doch das gelang nur sehr unzureichend: Gleich fünf Mal wurde Brady zu Boden gerissen, bevor er einen Pass werfen konnte. Und wenn er doch einmal genug Zeit bekam, sich nach einem geeigneten Ziel umzusehen, waren seine Passempfänger meist gut gedeckt.

Brady, Glamour-Boy der Liga und nach Expertenmeinung in der bisherigen Saison auch ihr bester Spieler, zeigte Wirkung und wurde nervös. Gleich im ersten Viertel unterlief ihm ein uncharakteristischer Fehler: Die Interception, der Fehlpass in die Arme eines Gegners, war seine erste seit drei Monaten und 340 Passversuchen. Eine für unmöglich gehaltene Rekordserie war zuende gegangen – und mit ihr die Souveränität der Patriots, die New York noch Anfang Dezember 45:3 demontiert hatten.

Doch für das erneute Aufeinandertreffen hatten sich die Jets eine neue Doppel-Strategie zurecht gelegt. Nicht nur entwickelte der krasse Außenseiter, der nun im Halbfinale am kommenden Sonntag bei den Pittsburgh Steelers antreten darf, ein geniales Verteidigungs-Schema, das dafür sorgte, dass Brady, wie Jets-Cornerback Darrelle Revis zufrieden feststellte, "ein bisschen verwirrt" wirkte. Vor allem war es offensichtlich gelungen, New England bereits im Vorfeld zu verunsichern. Das Mittel der Jets: Unflätige Beschimpfungen.

Vor allem Revis' Cornerback-Kollege Antonio Cromartie tat sich beim Großmaulen hervor: Der dreimalige Super-Bowl-Gewinner Brady sei "ein Arschloch", teilte er Mitte der Woche einer New Yorker Tageszeitung mit und ließ keinen Zweifel an seinen tiefen Gefühlen für das prominenteste Aushängeschild der NFL: "Ich hasse ihn."

Jets und Patriots pflegen eine Rivalität, die ihre Ursache in der regionalen Nähe hat und dadurch befeuert wurde, dass die Patriots die überragende Mannschaft des eben zu Ende gegangenen Jahrzehnts sind, die Jets dagegen seit 1968 keine Super Bowl mehr erreichen konnten.

Das nagt vor allem am Chefcoach der Jets. Rex Ryan war es, der in erster Linie die Stimmung anheizte, sich demonstrativ hinter Cromartie stellte, vergiftetes Lob in Richtung New England schickte und sein Team auf einer "Mission" wähnte.

Der schwergewichtige Ryan gilt ohenhin als eine der schillerndsten Figuren der NFL. Eine Hinter-den-Kulissen-TV-Serie entlarvte ihn als unsympathischen, ständig fluchenden Choleriker. Im vergangenen März ließ er sich unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit ein Magenband einsetzen und verlor fast 20 Kilo Gewicht. Vor wenigen Wochen schließlich tauchte im Internet ein Video mit seiner Ehefrau Michelle auf, in dem die sich und ihren Gatten als intime Kenner Fuß-fetischistischer Sexualpraktiken offenbart.

Seitdem dichten die Bostoner Journalisten am liebsten Schlagzeilen mit Fuß-Metaphern und Patriot-Profi Wes Welker verwendete während einer zehnminütigen Presse-Konferenz vor dem Spiel genau elf Mal, wie die Zeitungen genüßlich vorrechneten, die Worte "Fuß" oder "Zeh". Ryan aber reagierte cool: "Es gibt nun mal eine große Rivalität zwischen Jets und Patriots – und da geht alles, auch solche Bemerkungen. Aber keine Angst, ich halte das schon aus."

Ganz offensichtlich. Die Verbalattacke war erfolgreich, aber nach dem Spiel war schon wieder vor dem Spiel: Die Beschimpfungen gingen fröhlich weiter. Deion Branch, einer von Bradys an diesem Abend wenig effektiven Passempfängern, nannte die Jubelszenen, die die Jets nach dem Überraschungserfolg aufführten, "stillos". Aber, so der frustrierte Branch, "das war von denen ja nicht anders zu erwarten, so sind die eben".

Den New York Jets war's egal. Den Krieg der Worte hatten sie eben auf dem Spielfeld für sich entschieden. Da wurde selbst der schlagfertige Ryan seltsam höflich: "Wir haben gegen eine großartige Mannschaft gewonnen." Er meinte wohl: Wir sind eben noch großartiger.

17 Jan 2011

AUTOREN

Thomas Winkler

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