taz.de -- Aigners 14-Punkte Plan zu Futtermitteln: Ein Masterplan der Ausnahmen

Nach dem Dioxinskandal soll es bessere Kontrollen von Futtermitteln geben? Doch Verbraucherschützer sind skeptisch, denn der Plan hat zu viele Ausnahmen.
Bild: Schweinerei vor dem Kanzleramt: Bauern halten den Dioxin-Skandal für ein "Symptom einer verfehlten Agrarpolitik".

BERLIN taz | Eine Perle gibt es in dem 14-Punkte-Plan, mit dem die deutschen Agrar- und Verbraucherminister gegen Dioxin in Lebensmitteln kämpfen wollen: Sie beschlossen, dass Futtermittelhersteller künftig vor dem Verkauf grundsätzlich alle Zutaten auf das Gift testen müssen. Überschreiten die Proben die Grenzwerte, sollen die Labors die Behörden informieren.

Experten halten diese Idee für sinnvoll. Futter ist der wichtigste Weg, auf dem die teils krebserregenden Dioxine in die Nahrungskette gelangen. Im jüngsten Fall war dioxinverseuchtes Fett aus der Biogasproduktion in Futter für Schweine und Geflügel gemischt worden. Fleisch und Eier der Tiere überschritten die gesetzlichen Dioxingrenzwerte zum Teil drastisch und gelangten dennoch in großen Mengen in den Handel. Eine Test- und Meldepflicht hätte das Gift stoppen können, bevor es in den Trögen der Tiere landete.

"Jede Komponente muss geprüft werden, jede Charge", beschrieb Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) die neuen Pläne. Aber wenn man sich den Aktionsplan von Bund und Ländern genauer anschaut, wird deutlich: Er lässt Platz für viele Ausnahmen. So heißt es darin: "Von der Untersuchungspflicht sollen solche Futtermittel ausgenommen werden, die als risikoarm (zum Beispiel frisch geerntetes Getreide) einzustufen sind."

Doch welches Material ist "risikoarm"? Thilo Bode, der Chef der Organisation Foodwatch, befürchtet: Die Behörden könnten so viele Stoffe als "risikoarm" bewerten, dass in der Praxis kaum Futtermittel auf Dioxin getestet werden, wie er im Gespräch mit der taz sagte. Bode kennt die Tricks der Branche und ihren Einfluss auf die Berliner Politik.

Und er erinnert sich gut an die Gammelfleischaffäre unter Aigners Amtsvorgänger Horst Seehofer. Der CSU-Politiker habe 2007 versprochen, Schlachtabfälle einfärben zu lassen, damit sie nicht unbemerkt in Fleisch für den menschlichen Verzehr gemischt werden können. Doch letztlich kniff Seehofer. "Das wurde dann mit einem Farbstoff gemacht, der geruchlos und nicht sichtbar ist", klagt Bode. Jetzt vermutet er, dass Aigners Plan zur Kontrolle von Futterrohstoffen ähnlich endet.

Dafür spricht, dass die Ministerin nicht aus Überzeugung für die neuen Tests eintritt. Zu Beginn des aktuellen Dioxinskandals hatte sie den Foodwatch-Vorschlag abgelehnt. Erst als sie die öffentliche Wut über den Vorfall spürte und sogar von Kanzlerin Angela Merkel kritisiert wurde, gab sie nach. Allerdings kann oder will ihr Ministerium nicht sagen, welche Futterzutaten untersucht werden müssen. Bislang gebe es keine Liste der Ausnahmen, sagte ein Sprecher der taz.

Die Agrarlobby will durchsetzen, dass möglichst wenige Rohstoffe untersucht werden müssen. Tonangebend ist der Deutsche Bauernverband, dessen Positionen Aigners Ministerium oft übernimmt. Die von der Agrarindustrie dominierte Organisation hat sich auch in Sachen Rohstoffkontrollen bereits festgelegt: In einem Positionspapier fordert sie die Testpflicht nur für Mischfutterhersteller und nur für die "Fettschiene". Offenbar will der Verband seinen Mitgliedern, zu denen nicht nur Organisationen der Landwirte, sondern auch der Futterbetriebe gehören, die hohen Laborkosten einer Analyse ersparen.

Für Foodwatch kommen solche Ausnahmen nicht infrage. "Man kann nicht die Sicherheit gegen den Preis ausspielen", sagt Sprecher Martin Rücker. Wenn nur Fette auf Dioxin getestet würden, würde die Testpflicht zum Beispiel nicht für Mais gelten. Mais aus der Ukraine habe aber vor acht Monaten einen Dioxinskandal in der Biobranche verursacht.

Diese Situation wird sich auch mit dem 14-Punkte-Plan nicht ändern. "Er enthält nur Selbstverständlichkeiten", urteilt Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Umweltschutzorganisationen vermissen abermals eine Abkehr von der industriellen Massentierhaltung. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland etwa fordert, dass Bauern ihr Futter selbst erzeugen. Dann hätten sie bessere Kontrolle über die Qualität, und Verschmutzungen wären automatisch begrenzt.

Doch statt eine Agrarwende einzuleiten, bekämpften Union und FDP die Biobranche sogar, sagte Felix Prinz zu Löwenstein vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Die Bundesregierung habe ihren einzigen Subventionstopf für den Ökolandbau auch für konventionelle Landwirtschaftsarten geöffnet. Auch das trägt laut dem BÖLW dazu bei, dass immer weniger Bauern auf bio umstellen. Denn ohne Subventionen würden Biobauern im Schnitt wegen ihren höheren Kosten 15 Prozent weniger Gewinn einfahren als ihre konventionellen Konkurrenten.

Nach einer Studie der Universität Bonn steigerte der Handel seinen Umsatz mit Bioprodukten von 2000 auf 2009 zwar um rund 180 Prozent, der Flächenanteil und die Zahl der deutschen Biobetriebe wuchsen in diesem Zeitraum aber nur um 75 Prozent - das führt zu mehr Importen.

Derzeit steigt die Nachfrage vor allem infolge des Dioxinskandals: Wie der Branchenverband BNN Herstellung und Handel mitteilte, ist der Umsatz mit Bioeiern seit Weihnachten um bis zu 30 Prozent gegenüber den vorangegangenen Wochen gestiegen. Vereinzelt gebe es sogar schon Lieferengpässe.

20 Jan 2011

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Jost Maurin

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