taz.de -- Kolumne Langhans im Dschungelcamp: Politik der Ekstase
Urkommunarde Rainer Langhans sitzt für RTL und "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus" wieder in einer Wohn- und Lebensgemeinschaft. Hier schreiben zwei seiner Gefährtinnen.
Gut kauen, rät Dr. Bob. Sonst kommt es wieder hoch. Lebendiges, Glitschiges, Ekliges und Obszönes, es muss in die Mägen wandern, in kürzester Zeit. Das war wirklich die allerallerallerschlimmste Prüfung. Das allerallerallerRTLste Ekelding. Vorhersehbar.
Aber was dann kam, ließ uns das Blut gerinnen und unsere Gehirne taten das, was laut Untersuchungen alle Gehirne tun: das virtuelle Geschehen auf der Mattscheibe als Realität zu schlucken. Uns gefror das Blut. Die Ansage: Rainer verweigert seit Tagen das Essen (geht ja noch).
Dann ein erschreckend ernstes Gesicht von Rainer, Statements vom Sterben, ein lebloses Händchen am Schlafsackrand, stille Gesichter, bedenkliche Camperaussagen, so geschnitten und kommentiert, als wolle Rainer vor über sieben Millionen Zuschauern seinen Körper endgültig verlassen und als letzte große ekstatische Erfahrung im Dschungel vor unser aller Augen ins Nirvana eingehen. "Alles andere ist ja langweilig" (Ja, wissen wir schon vorab, jetzt werden Leserbriefe kommen: Soll er doch).
Wir schauen uns an: Das ist einfach much too much! Spinnt er? Verrückt geworden? Hier bei RTL, das ist doch nur eine Quatschsendung, Rainer!! So was wie Fußball oder Klum!! Kann das WAHR sein? Die Salzburger Jedermannspiele im Unterschichten-TV - und dann noch bitterbitterernst? Das war ein Hammerschlag mitten in die Party, selbst wir verlieren die Fassung. Schnell in die Facebook-Gruppe ,Langhans wird Dschungelkönig': Was sagen denn die? Kollektiver Schock. Sie fragen zurück: Was sagt denn ihr dazu? Das wird der Schlüssel: Erst mal verdauen und dann die Sendung noch einmal sehen.
RTL testet nun nach Elektroschockakzeptanz ein weiteres, vielleicht letztes Tabu, das Sterbseln. Und lässt dafür Rainer fast über die Klinge springen. Schon sehr geschickt geschnitten, wieder mal Kino und Rainers Philosophie zum Sterben und sein uns eigentlich verständliches Fasten wird Wirklichkeit. Dramatische Musik und wir fallen alle vom Stuhl. Dabei ist es für uns Frauen hier nicht neu. Rainers Praxis und Credo seit Jahren: Wir müssen sterben lernen, um leben zu können.
Und noch immer können wirs hier kaum fassen. Politik der Ekstase im privaten (TV). Vielleicht eine späte Erfüllung, dass das Private tatsächlich politisch ist. Und das bei RTL? Zwangsvergeistigung im Trash? Das hatten wir Rainer bei seiner Abreise auch schon angedroht. Du gehst in die Schlangengrube? Ja. Aber die Frage bleibt, ist ausgerechnet das nicht der beste Platz für einen Sucher?
24 Jan 2011
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