taz.de -- Brief an die Leserinnen und Leser: Zensur der Gedanken
Im Iran verschärft sich die Repression. Zwei Filmemacher wurden verurteilt, weil sie dabei waren, an einem Film zu arbeiten. Das verlangt unser Engagement.
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
ich hoffe, Sie hatten Gelegenheit, den Solidaritätsaufruf auf unserer heutigen Seite 1 der gedruckten taz genau zu lesen. Und ich wünsche mir, dass Sie einen Moment innegehalten und über den Inhalt nachgedacht haben. Im Iran wurden zwei Filmemacher zu einer sechsjährigen Gefängnisstrafe und zu 20 Jahren Berufs- und Reise- und Interviewverbot verurteilt, weil sie dabei waren, an einem Film zu arbeiten. Zwei Menschen werden brutaler Repression ausgesetzt und ihres Rechts auf Meinungsäußerung beraubt, weil sie etwas vorhatten, weil sie etwas gedacht haben, was einer Regierung missfallen könnte.
Unsere Aufgabe als Zeitung
Die taz, die tageszeitung hat eine lange Tradition, sich für die Freiheit der Kunst und für das Recht auf ungehinderte Meinungsäußerung zu engagieren. Und so haben wir uns entschieden, auf diesen bislang einzigartigen Vorgang mit einer herausragenden Aktion zu reagieren: Mit ebenjenem Aufruf zur Solidarität und zur verstärkten Berichterstattung über die Situation von Kulturschaffenden und kritischen Geistern im Iran.
Wir folgen damit der Initiative des iranischen Regisseurs Rafi Pitts, der Ende des letzten Jahres den Mut besaß, in einem offenen Brief an Präsident Ahmadinedschad die Rücknahme des Urteils zu fordern. Gleichzeitig rief er alle MedienvertreterInnen und Kulturschaffende dazu auf, am 11. Februar 2011 für zwei Stunden die Routine zu unterbrechen, das heißt zu streiken. Es ist der 32. Jahrestag der Iranischen Revolution, und es ist der erste Tag der Berlinale. Jafar Panahi war von dem Filmfestival in die Wettbewerbsjury eingeladen worden - und dürfte kaum nach Berlin kommen können.
Wir als MedienvertreterInnen in Deutschland sehen es als unsere Aufgabe an, angesichts dieser eklatanten Menschenrechtsverletzung unseren täglichen Betrieb zu unterbrechen und gleichzeitig mit all unserer publizistischen Kraft über die Situation im Iran zu berichten. Wir, die wir die Möglichkeit haben, unsere Meinung zu äußern und unsere Projekte zu realisieren, wir streiken nicht, sondern möchten mit all unseren KollegInnen zusammen eine Öffentlichkeit schaffen, die verhindert, dass Menschen in ihrer beruflichen wie intellektuellen Existenz vernichtet werden, weil ihre Gedanken und ihre Kritik den Machthabenden nicht gefallen.
Die Studentenrevolte, der 68er Aufbruch, ist eng mit der iranischen Befreiungsbewegung gegen den Schah verbunden. Sein Berlinbesuch, der Tod von Benno Ohnesorg und der Angriff auf Rudi Dutschke haben viel mit der Gründungsidee der taz zu tun. Diese Geschichte prägt bis heute unser Selbstverständnis. Entsprechend wichtig ist für die taz der Blick in den Iran, über den wir seit Jahrzehnten kompetent und engagiert berichten.
Öffentlichkeit jetzt
Wer die Demokratiebewegungen in Ägypten, in Tunesien und Jemen in den letzten Tagen verfolgt hat, wird auch öfter die Frage gehört haben, welche Rolle die westlichen Ländern für die Diktatoren gespielt haben - und welche Verantwortung sie nicht zuletzt jetzt haben, die demokratischen Kräfte vor Ort zu unterstützen. Wir sind überzeugt davon, dass es Jafar Panahi und Mohammad Rasoulof hilft, wenn wir den Blick auf ihre Situation richten und ihre Verurteilung aufs Schärfste verurteilen. Und nicht müde werden, das zu tun. Auch über den 11. Februar hinaus. Mit dieser Einschätzung stehen wir nicht allein, namhafte KünstlerInnen und Kultureinrichtungen unterstützen uns dabei. Doch wir wünschen uns eine noch viel stärkere Beteiligung!
Natürlich haben wir auch versucht, andere Medien für diese Kampagne zu erwärmen. Wir bekamen viel unterstützende Worte, doch außer der österreichischen Tageszeitung Der Standard, Spiegel Online und der Zeitschrift Cicero wollte sich kein Medium aktiv beteiligen. Selbstverständlich respektieren wir diese Entscheidung, doch die Begründung teilen wir nicht. Die lautete einhellig: Man betreibe keinen Kampagnenjournalismus, die journalistische Neutralität gehe vor.
Die Abwägung
Auch in der taz diskutieren wir zu Recht jedes Mal aufs Neue, wann es gerechtfertigt ist, als ganze Zeitung die journalistische Distanz aufzugeben und sich klar auf einer Seite zu positionieren. In Sachen Panahi und Rasoulof war die große Mehrheit im Haus uneingeschränkt für eine Kampagne.
Die taz ist verortet, wir verstehen uns als eine Zeitung, die eine klare Agenda verfolgt: Wir setzen uns für mehr Gerechtigkeit ein. An dieser Stelle sind wir nicht neutral. Konsequenterweise war die taz das erste Medium, das ausführlich, solidarisch und mithilfe ihres KorrespondentInnennetzes groß über die demokratischen Entwicklungen in Tunesien berichtet hat. Für uns steht unser publizistisches Selbstverständnis im Vordergrund, jenen eine Stimme zu geben, die sonst nicht gehört werden.
Vor diesem Hintergrund sind auch Kampagnen wie die aktuelle zu sehen. Durch solche konzentrierten und konzertieren Aktionen schlagen wir uns auf eine Seite, das ist richtig. Wir geben unsere Neutralität auf. Das ist gewollt. Unserem Selbstverständnis nach ist die publizistische Öffentlichkeit gefordert, sich einzumischen, wenn es darum geht, auf extreme Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen.
Wir tun das seit Jahren durch unsere Berichterstattung, unsere Analysen, unsere Augenzeugenberichte, unsere Recherchen. Und eben auch immer wieder durch Kampagnen, in der Hoffnung, dass die errungene Aufmerksamkeit den Betroffenen hilft, ihre Rechte einzuklagen. Gerechtigkeit und also das konkrete Eintreten gegen Menschenrechtsverletzungen - das ist unser ganz konkretes Anliegen, dafür möchten wir Öffentlichkeit schaffen, und dafür bitten wir Sie, liebe Leserin und lieber Leser, um Ihre Aufmerksamkeit.
7 Feb 2011
AUTOREN
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