taz.de -- Offener Brief an Guttenberg: "Die Ungerechtigkeit macht uns sauer"
Merkel soll eine Diskussion über Guttenbergs Glaubwürdigkeit zulassen. Das sagt Johannes Staemmler, Doktorand und Mitverfasser eines offenen Briefs.
taz: Herr Staemmler, Sie haben mit vier andere Doktoranden einen offenen Brief an die Bundeskanzlerin veröffentlicht. Woher kam die Idee?
Johannes Staemmler: Der Ursprungsmoment war die Debatte im Bundestag. Da haben wir uns gesagt: Das kann doch wohl nicht wahr sein. Ist das jetzt die Debatte und vor allem auch die abschließende Reaktion der Regierung gewesen?
Was fordern Sie von Angela Merkel?
Wir erwarten von der Kanzlerin, dass Sie eine offene Debatte über Glaubwürdigkeit und Vertrauen zulässt. Das ist für uns als Wissenschaftler wichtig, weil wir entlang diesen Kriterien bewertet werden. Alles Gerede von der "Bildungsrepublik Deutschland" wird karikiert, wenn diese Debatte nicht geführt wird.
Ist Guttenbergs Rücktritt eine Bedingung dafür, dass diese Debatte geführt werden kann?
Das ist weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung. Aber es würde vieles vereinfachen. Die Anwesenheit von Herrn Guttenberg hindert uns, in der Sache weiterzukommen.
Im Brief heißt es, die Kanzlerin "verhöhne" die Doktoranden. Was meinen Sie damit?
Sie lässt einen ihrer tatkräftigsten und populärsten Mitarbeiter ein Vergehen durchgehen, wofür vom Schüler bis zum kurz vor dem Ruhestand stehenden Angestellten jedem drastische Konsequenzen drohen - wenn man die Ideen von anderen klaut. Diese ungerechte Behandlung macht uns so sauer.
Geht es bei Ihrer Initiative nicht nur um Selbstschutz und Eigennutz des Wissenschaftsstandes?
Es geht um Selbstschutz, weil hier die Glaubwürdigkeit unserer Qualitätskriterien infrage gestellt werden. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, ob Titel nur für gesellschaftlichen Status oder für wirkliche wissenschaftliche Leistungen vergeben werden.
Der Betreuer einer Doktorarbeit ist zugleich auch Prüfer. Stimmt dieses Prinzip noch?
In anderen Ländern werden wissenschaftliche Arbeiten durch eine vom Doktoranden unabhängige Kommission bewertet. Darüber sollte man auch bei uns nachdenken. Die enge Beziehung von Doktorvater und seinem Zögling ist ein Relikt unserer Wissenschaftsgeschichte.
Guttenberg will seine Dissertation quasi nebenher geschrieben haben. Geht das nicht vielen Doktoranden so?
Das Leben von wissenschaftlichen Mitarbeitern und Promovenden ist selbst gewähltes Prekariat. Arbeit und Promotion zu vereinbaren ist nicht immer einfach. Trotzdem passieren einem solche Fehler nur, wenn man sie vorsätzlich macht oder seine Promotion schlafend schreibt. Anders kann man nicht erklären, wie jemand Erstsemester-Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens vergisst.
Wissen Sie, ob die Universität Ihre eigene Dissertation auf Plagiate untersuchen wird?
Bis vor einer Woche wusste ich das nicht. Ab jetzt nehme ich das stark an.
1 Mar 2011
AUTOREN
ARTIKEL ZUM THEMA
Einige Wissenschaftler wehren sich erfolgreich gegen die Erwähnung in einem Buch über Wissenschaftsplagiate. Gestritten wird auch darüber, wo unerlaubtes Abschreiben anfängt.
Verteidigungsminister zu Guttenberg ist zurückgetreten. Er trete von allen politischen Ämtern zurück, sagte der CSU-Politiker. Er habe die Grenzen seiner Kräfte erreicht, so der 39-Jährige.
Der Familienzweig des Verteidigungsministers besticht durch Sparsamkeit, was den Vornamenwechsel angeht. Nun hat er auch noch einen Onkel bei der "Bild".
Guttenberg, der Plagiator, war noch nicht erkennbar für die Autoren seiner Biografie. Dennoch sucht man beim Lesen nach der Vorgeschichte eines Fälschers.
Ihn würde "die Einschätzung eines Psychologen interessieren", sagt der Nachfolger von Guttenbergs Doktorvater. Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert findet harte Worte.
Die CDU-Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz am 27. März setzt auf Guttenberg. Der Verteidigungsminister sei ihr auch nicht peinlich, versichert Julia Klöckner.
Die Alma Mater des Verteidigungsministers hat lange mit ihrem berühmten Absolventen geworben. Jetzt versucht die Uni Bayreuth die Loslösung vom Skandalminister.