taz.de -- Kolumne Das Schlagloch: Die Farbe der Gier

Der Gedanke der Freiheit ist zu wichtig, um ihn den Liberalen zu überlassen.
Bild: Kundgebung für ein "bedingungsloses Grundeinkommen" vor dem Brandenburger Tor.

Gelb? Bis auf das Frühlingszitronengelb - und die FDP ist niemals frühlingszitronengelb, auch wenn sie im Frühling stirbt - sind die meisten Gelbs doch etwas unangenehm. Was für hässliche, kranke Gelbs es gibt! Vielleicht deshalb symbolisiert die Farbe traditionell den Neid, den Geiz, die Gier - christlichem Weltverständnis zufolge Todsünden; in der modernen Welt, zugegeben, Kardinaltugenden. Aber auch Letzteres galt streng genommen nur bis zur Finanzkrise.

Wir Deutschen sind ein merkwürdiges Volk. Man erkennt es schon daran, dass wir die FDP, die Neoliberalen, pünktlich nach dem Untergang des Neoliberalismus gewählt haben und seitdem über die Regierung staunen. Alle reden über die personelle Selbstfindungskrise der FDP. Rösler also? Irgendwie mochte man ihn bisher noch gar nicht recht unter die Erwachsenen zählen, aber warum nicht Rösler? Die Frage ist, ob die FDP jenseits der gelben, derzeit etwas schwergängigen Geiz- und Gierthemen, deren Reflexe auf die Habenichtse die FDP Sozialpolitik nannte, noch andere findet.

Vielleicht sind die Grünen, die als einzige Partei direkt aus dem Boden dieser Gesellschaft gewachsen sind, gewissermaßen durch Selbstaussaat auch auf Fremdäckern, längst schon die bessere FDP? Oberstes Prinzip auf der grünen Wiese: Eigenverantwortung und Selbstbestimmung aller Grashalme! Das ist bedenklich FDP-nah. Und dabei wird schon klar: Wie unangestrengt die Grünen doch Freiheit und Solidarität, Egoität und Altruismus vereinigen, diese beiden Pole aller gesellschaftlichen Entwicklung, deren Stellung zueinander die Gesellschaftsordnungen prägt und ihren spezifischen Charakter ausmacht.

Nun ist da, glaubt die FDP, noch eine große Verwandte der Eigenverantwortung und Selbstbestimmung, eine mit viel mehr Sexappeal: die Freiheit. Und an der hat sie doch, der politischen Herkunft nach, die Urheberrechte. Das mag stimmen, aber Herkünfte kann man verspielen und Autorenrechte laufen ab. Und welche Freiheit möchte Parteimitglied werden?

Freiheit braucht Geist

Versetzen wir uns in die Lage der Freiheit. Würde sie wirklich die Westerwelles und Lindners für sich sprechen lassen? Die Freiheit und der Geist gehören zusammen.

Früher, vor der Ära Westerwelle, fiel die FDP öfter durch Klugheit auf, durch die Klugheit des Kleineren. Vor gut einem Jahr hielt der FDP-Generalsekretär Christian Lindner, Mitglied der Generation Golf, eine Rede. Er erfand den "mitfühlenden Liberalismus". Man werde künftig, so Lindner, "die Deutungshoheit für den Begriff der sozialen Gerechtigkeit, der sozialen Verantwortung für sich beanspruchen". Wer die FDP reden hörte, musste dem schönen und hoffnungsvollen Satz "Die Gedanken sind frei" immer öfter ein "ja, leider" anfügen.

Es ist noch nicht lange her, da betreuten die Parteien Herkünfte: Sozialdemokraten und Kommunisten sorgten sich um die aus allen Verwurzelungen - auch religiösen - herausgeschleuderten freien Arbeitssklaven der modernen Welt, die ihre Freiheit nur erleiden konnten. Und die Christdemokraten nahmen die ländlich Geprägten an die Hand, die in Tradition und Glauben Verharrenden. Sie passten auf, dass sie den kalten Wind der Freiheit nicht so direkt spürten, nie ohne Schal und Mütze der Zugluft der modernen Welt ausgesetzt waren.

Weder Christ noch Kommunist

Damals, als Parteien noch Milieus schützten, war es vielleicht richtig, dass sogar die Freiheit in einer eigenen Partei Asyl nahm. Aber hat sie das noch nötig? Ist sie nicht viel zu klein und viel zu groß, zu persönlich und überpersönlich zugleich, um sich einer Partei anzuvertrauen?

Die Freiheit war so frei, in fast allen zeitgenössischen Seelen Dependancen zu gründen. Sie mag mitunter schwer zu ertragen sein, aber wer würde sie denn aufgeben wollen?

Außenminister Westerwelle hat soeben in China die Ausstellung über die Kunst der Aufklärung eröffnet - es dürfte ihm aufgefallen sein, wie hybrid es ist, als Partei Anspruch auf dieses Movens der Weltgeschichte zu erheben. Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit, hat Hegel am Ende der Aufklärung mehr als ein Zeitalter, nämlich eine Perspektive zusammengefasst.

Unterschicht im alten Rom

Die Freiheit ist zu wichtig, um sie den Liberalen überlassen. Sie sind, genau genommen, nicht die Beschützer, sondern Egoisten der Freiheit. Reden wir noch einmal über das alte Rom, dem unsere Gesellschaften sich immer mehr anverwandeln - nur anders, als Westerwelle meinte. Damals lagen die Dinge übersichtlicher. Es gab die Bürger und die Sklaven, die Freien und die Unfreien. Selbst die Philosophen waren aufrichtig genug, zu erklären, die Unfreiheit der viel zu vielen sei die Voraussetzung der eigenen Freiheit. Das Glaubensbekenntnis der modernen Welt, jeder weiß es, lautet anders.

Und doch kann man nirgends unfreier sein als in einer freien Gesellschaft. Freiheitskräfte gehen ins Offene, aber in einem verwalteten Leben steht gemeinhin keine Tür mehr offen. Die Unfreien in unserer freien Gesellschaft heißen nach allgemeiner Übereinkunft die Unterschicht. Selbst kluge Menschen überraschen inzwischen durch die Auskunft: Unterschichten gab es schon immer. Den zweiten Teil des Satzes "und wird es immer geben" sprechen sie meist nicht mit, umso hörbarer klingt er nach. Und doch ist es eine Täuschung, Unterschichten werden gemacht.

Ihre Entstehung war gut zu beobachten. Irgendwann beginnen selbst ganz normale Menschen, sich wie Unterschichtler zu benehmen. Man liest den eigenen gesellschaftlichen Status in den Augen der anderen, in den Augen der Gesellschaft. Irgendwann beginnt wohl jeder daran zu glauben, dass er der ist, den er da erblickt. Die FDP setzt wie einst die alten Römer die Existenz der Unfreien nicht nur voraus, sie fördert sie, Hier macht der liberale Geist Pause, um dann die Frage zu stellen: Schlimm genug, dass die Unterschicht da ist. Und nun sollen wir auch noch für ihren Unterhalt aufkommen?

Nein, die Freiheit ist nicht gelb. Also grün? Nicht eher blau?

6 Apr 2011

AUTOREN

Kerstin Decker

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