taz.de -- Exiltibeter haben neuen Führer gewählt: Politischer Nachfolger des Dalai Lama
Die Exiltibeter haben einen neuen politischen Führer: Er heißt Lobsang Sangay, ist 42 Jahre alt und arbeitete bislang als Professor für Rechtswissenschaft.
DELHI taz | Der politische Erbe des Dalai Lama steht fest: Mit deutlicher Mehrheit wählten Exiltibeter in der ganzen Welt Lobsang Sangay zu ihrem neuen Premierminister, wie am Mittwoch die Wahlkommission im nordindischen Dharamsala bekannt gab.
Die Wahl von Sangay als "Kalon Tripa", wie das politische Amt genannt wird, beendet eine fast 400-Jahre alte Tradition. Bislang war der von einem Mönchsorden bestimmte Dalai Lama gleichzeitig religiöses und politisches Oberhaupt der Tibeter. Der 14. Dalai Lama hatte im März seinen Rückzug angekündigt. Er bleibt weiter höchste spirituelle Autorität.
Der Kontrast zwischen dem Akademiker und dem buddhistische Mönch könnte kaum größer sein: Der 42-jährige Sangay, der an der Harvard-Universität in Boston arbeitet, gilt als Experte für internationale Menschenrechte. Der im indischen Darjeeling geborene Jurist wohnt seit über 15 Jahren in den Vereinigten Staaten. Anders als sein politischer Vorgänger, der Dalai Lama, hat er nie in Tibet gelebt.
Einige Tibeter fürchten nach dem Rückzug des Dalai Lama, dass die Exilgemeinde an politischem Einfluss verlieren könnte. Die Aufgabe seiner politischen Ämter ist jedoch ein kluger Schachzug des Dalai Lama: Der Mönch will die Stellung der Exiltibeter festigen, so dass auch nach seinem Tode eine legitime politische Vertretung besteht. Besonders China, das Tibet als festen Bestandteil seines Territoriums ansieht, dürfte es schwerer fallen, eine demokratisch legitimierte politische Vertretung anzugreifen.
Zugleich kann sich der Dalai Lama nun stärker auf die Frage konzentrieren, wer sein religiöser Nachfolger wird. Der Dalai Lama wird nach dem Tod des Vorgängers traditionell "gefunden". Ein Mönchsorden bestimmt einen tibetischen Jungen als Reinkarnation des Verstorbenen und erzieht das Kind im Kloster. Diese Zeit war in der Geschichte der Tibeter politisch oft unruhig.
27 Apr 2011
AUTOREN
ARTIKEL ZUM THEMA
Von der Dorfschule über eine Eliteuniversität zum Regierungschef: Das politische Sagen bei den Exiltibetern hat jetzt Lobsang Sangay. Für einige Tibeter ist das nicht einfach.
Obwohl die USA die Visite des Dalai Lama herunterspielen, reagiert Peking erbost. Konsequenzen dürfte das nur für Tibet haben. Dort bleibt jeder ausländische Besuch unerwünscht.
Das Treffen Obamas mit dem Dalai Lama habe den chinesisch-amerikanischen Beziehungen Schaden zugefügt, ließ das Regime in Peking verlauten. Dabei fand es nicht mal im Oval Office statt.
Das offizielle China feiert diese Woche den 60. Jahrestag der "friedlichen Befreiung" Tibets. Und wehe, ein Tibeter hat dazu eine andere Meinung.
In ihrer indischen Hochburg Dharamsala diskutieren die Exiltibeter vor der Wahl am Sonntag heftig. Auch wegen des angekündigten Rückzugs des Dalai Lama.
In dem 27-jährigen Ugyen Thinley Dorjee hat der Dalai Lama einen möglichen geistig-religiösen Nachfolger gefunden. Er ist der populärste Lama nach seinem Ziehvater.
Der Dalai Lama will seine Landsleute offenbar ermutigen, sich politisch mehr zu engagieren. Dennoch wird er nach innen wie nach außen wichtigste Figur bleiben.
Diesmal könnte es der Dalai Lama das Oberhaupt der Exiltibeter mit seinem Rücktritt wirklich ernst meinen. Und kündigt gleichzeitig Vorschläge für eine Verfassungsänderung an.