taz.de -- Kommentar: Staffage im Symbolkrieg
Ob gefährlich oder nicht war den US-Miliärs einerlei - seine Funktion im Anti-Terror-Krieg erfüllt Murat Kurnaz für sie in jedem Fall
Die Angriffe des Terrornetzwerks al-Quaida waren real. Und ebenso real dürfte das Interesse gewesen sein, ihnen Einhalt zu gebieten. Warum also hielten die USA wider besseren Wissens jahrelang daran fest, dass Murat Kurnaz ein Terrorist sei- anstatt ihn laufen zu lassen und nach den echten Terroristen zu suchen?
Die Antwort liegt in der Funktion, die Kurnaz und seine Mithäftlinge im Propagandakrieg hatten. Die wie seltene Tiere in ihren Metallkäfigen zur Schau gestellten, signalrot gekleideten Häftlinge sollten mit dafür sorgen, dass sich die Terrorpanik nach dem 11. September verstetigt. Als symbolischer Kontrapunkt zu dem einstürzenden World Trade Center sollte sich ihr Bild im kollektiven Bewusstsein festsetzen. Zwar transportierten die "irregulären Kämpfer" aus Guantanamo die beschworene Bedrohung des Westens durch den Islamismus. Doch im Gegensatz zu den Bildern aus Manhattan signalisierten sie Stärke. Und je unerbittlicher und außergewöhnlicher man die Verfolgung und Verhöre in Guantanamo inszenierte, desto besse funktionierte dies: Die Öffentlichkeit bekam mehr Angst vor den Häftlingen und allen, die es noch zu fangen galt. Und war umso eher bereit, den Anti-Terro-Krieg mitzutrgen. Für diese Offensive der Bilder diente Murat Kurnaz als Staffage - ob schuldig oder nicht, war dabei einerlei.
1 Jan 1970