taz.de -- Kommentar Osama bin Laden: Wege zum Ruhm
Wenn Regierungen das Völkerrecht so offen missachten wie die USA, gefährdet das die Regeln der internationalen Gemeinschaft. Da wären dreiste Lügen besser.
Jetzt weiß die Welt also, dass Osama bin Laden unbewaffnet war, als er erschossen wurde. Entscheidende Hinweise auf seinen Aufenthaltsort wurden mit Hilfe von Folter erlangt. Und die Regierung von Pakistan, wo der Angriff stattfand, war von ihren Verbündeten offenbar nicht um Zustimmung zu der Operation gebeten worden.
All diese Angaben stammen nicht von Wichtigtuern, auch nicht von Wikileaks, sondern aus offiziellen US-Quellen. Man fühlt sich angesichts dieser Offenherzigkeit an einen Aphorismus erinnert, der dem französischen Diplomaten Talleyrand zugeschrieben wird: Das ist schlimmer als ein Verbrechen. Es ist ein Fehler.
Wenn Regierungen, Geheimdienste und Militärs das Völkerrecht offen missachten und Menschenrechte verletzen, dann gefährdet das die Regeln der internationalen Gemeinschaft in ihrem Bestand. Normen, die nur so lange gelten, wie sie den jeweils eigenen Interessen nicht zuwiderlaufen, sind wertlos.
Deshalb ist in diesem Zusammenhang noch die dreisteste Lüge besser als die achselzuckende Ehrlichkeit, die jetzt die US-Regierung an den Tag legt: Wer nämlich lügt und sich nicht erwischen lassen will, erkennt wenigstens prinzipiell die Gültigkeit der Normen an, die er verletzt hat. Das Weiße Haus tut genau das nicht. Washington lässt keinen Zweifel daran, dass im Ernstfall nur die eigenen Gesetze gelten.
Dieses Verhalten ist gefährlich borniert. Besser hätte man Osama den Weg zum Märtyrer kaum ebnen können – einem Mann, der sich seit Jahren nicht aus dem Haus getraut hat und längst nicht mehr dem Bild eines Helden entsprach. Aber wenn jemand wehrlos erschossen wird, dann hat das größere Wirkungsmacht, als jede Grabstelle sie hätte haben können. Die USA bauen in diesen Tagen selbst am Schrein für Osama. Ein Fehler.
4 May 2011
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