taz.de -- Sprachwissenschaftler über Bekennerschreiben: "Keine emotionale Komponente"
Nach dem Brandanschlag auf den Bahnhof Ostkreuz analysiert die Polizei mit kriminalistischer Sprachwissenschaft das linke Bekennerschreiben. Sprachprofiler Raimund Drommel hat es gelesen.
taz: Herr Drommel, eine linksautonome Gruppe hat sich zu dem Anschlag auf den Bahnhof Ostkreuz bekannt. Halten Sie das Bekennerschreiben für authentisch?
Raimund Drommel: Ich halte es nach erster Durchsicht für absolut authentisch. Textaufbau, Sprache und Inhalt sind typisch und passen genau.
Was sagt das Schreiben über den oder die Autoren aus?
Der Bekenner ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit männlich, wahrscheinlich zwischen 20 und 30 Jahre alt und hat einen hohen Bildungsgrad. Abitur ist wahrscheinlich, Studium möglich. Er stammt offenbar aus einem gutbürgerlichen sozialen Milieu, hat auf keinen Fall einen Hartz-IV-Hintergrund. Themen wie Arbeitslosigkeit und Mindestlohn wurden in dem Schreiben gar nicht angesprochen. Die verbale Intelligenz des Autors setze ich ebenfalls hoch an. Er schreibt, die Gefährdung von Menschen "nach bestem Wissen ausgeschlossen" zu haben. Er hat bewusst die Formulierung "nach bestem Wissen und Gewissen" vermieden, um die staatskonforme Variante zu umgehen.
Woran erkennen Sie, dass der Täter männlich ist?
Ich versuche, durch den Text auf den Autor zu schließen. Was ist sein Motiv, seine Motivation? Das Hauptindiz ist, dass die emotionale Komponente ausgeschaltet ist.
Wie geht die Polizei jetzt vor?
Es gibt im Internet über 400 Kommentare und Beiträge zu dem Bekennerschreiben. Es besteht die Möglichkeit, dass sich dessen Verfasser im Netz noch mal anonym äußert. Der Staatsschutz wird nun nachschauen, ob der Autor an diesen Stellen noch mal mit sprachlichen oder argumentativen Parallelen in Erscheinung tritt. Dann wird der Staatsschutz das Schreiben auch noch mit nichtanonymem Material aus der linken Szene abgleichen. INTERVIEW: SEBASTIAN FISCHER
26 May 2011
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