taz.de -- 33. Evangelischer Kirchentag: Dresdner Heiden unter Christen

Die Dresdner sehen dem Kirchentag unaufgeregt entgegen, trotz protestantischer Prägung. Auch das Verhältnis von Landeskirche zur Politik war schon besser.
Bild: Der "Alte Fritz" vor der Frauenkirche.

Dresden taz | Lila, die letzte Hoffnung, der letzte Versuch? Es ist allerdings kein reines Lila, eher ein Telekom-Pink, in dem die Kirchentagsplakate gehalten sind. Seit einigen Wochen hängen sie als Banderole an den lutherischen Kirchen Dresdens und wehen selbstverständlich am Kirchentagsbüro in der Ostraallee.

Sonst aber wirkt das beschauliche Dresden nicht gerade, als befände es sich im Kirchentagsfieber. Der Aufstieg von Dynamo Dresden in die zweite Fußballliga eine Woche vor Kirchentagseröffnung sorgte auf jeden Fall für den heftigeren Spontanjubel und trieb allein 20.000 Fans auf den Altmarkt. Eine Tageszeitung, in der nur alle paar Tage ein kleiner Vorbericht zum Kirchentag zu entdecken war, veränderte für Dynamo extra ihr Layout.

Man täte den Dresdnern aber Unrecht, wenn man sie als Kirchentagsmuffel denunzieren wollte. Immerhin ist es den Veranstaltern gelungen, fast vollständig die 12.000 benötigten Privatquartiere einzuwerben. Eine Leistung in einer Stadt, in der sich nur ein Viertel der Einwohner zu einer Kirche oder Religionsgemeinschaft bekennt. Auf diese Diaspora-Situation weist Kirchentagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt immer wieder hin. In Dresden ist sie freilich nicht so spürbar wie in der Sächsischen Landeskirche, wo sinkende Mitgliederzahlen und Kirchensteuereinnahmen zu großen Personal- und Strukturproblemen führen.

Die Stadt ist nach wie vor vom protestantischen Leben geprägt. Wenn Auswärtige dabei zuerst an die wieder aufgebaute Frauenkirche denken, so irren sie. Denn die fromme Puppenstube Dresdens wird eher als Konzertsaal, Vortragsraum und vor allem als Touristenmagnet wahrgenommen. Von Mahnmal keine Spur mehr. Das geistige Zentrum der Lutherschen war und ist die Kreuzkirche, auch wenn sie äußerlich auf unsägliche Weise immer mehr hinter armseligen Büro- und Konsumtempeln verschwindet. Diese Bedeutung korrespondiert eng mit der Kirchenmusik, die in mehreren Kirchen der Stadt mindestens semiprofessionell gepflegt wird. In der Kreuzkirche aber ist auch der Kreuzchor zu Hause, der einer der besten Knabenchöre der Welt ist.

Eklat im Parlament

Mitten in Dresden sitzen auch Landtag und Sächsische Landesregierung. Deren Verhältnis speziell zur Evangelischen Kirche hat sich ausgerechnet mit der seit 2009 regierenden schwarz-gelben Koalition deutlich eingetrübt.

Nicht, weil mit der Wiederentdeckung royalistischer Tendenzen nach 1990 der Katholizismus in der Regierung stets überproportional vertreten war wie zu Zeiten des starken August. Es ging vielmehr um Kürzungen der Zuschüsse an Freie Schulen und das Ladenöffnungsgesetz. Eine ziemlich dürftige Landtagsdebatte über die Luther-Dekade offenbarte, dass die Regierenden eigentlich vorrangig um deren touristische Vermarktung besorgt sind.

Im Januar dieses Jahres kam es zum Eklat, als die FDP im Landtag geplante Veranstaltungen für zu links besetzt hielt. Landtagspräsident Matthias Rößler (CDU) genehmigte nur zwei von sechs Kirchentagsveranstaltungen. Die sonst nicht eben urreligiösen Oppositionsparteien Linke, SPD und Grüne verließen aus Protest die Plenardebatte.

Die bis zum sechsten Juni dauernden Dresdner Musikfestspiele hingegen haben sich bewusst auf den Kirchentag eingestellt. "Fünf Elemente" lautet das diesjährige Motto, mit dem Intendant Jan Vogler den bekannten vier Elementen die Spiritualität hinzugefügt hat. Nicht anders das parallel laufende dreiwöchige Festival "Auf der Suche nach dem Wunderbaren" im zeitgenössischen Festspielhaus Hellerau, das sich mit Kunst und Spiritualität befasst.

Der Geist der Residenz

Die Energiedebatte, die auf dem Kirchentag ebenfalls thematisiert wird, sorgt sicher für reges Interesse, nicht nur, weil die Kirchentagspräsidentin eine Grüne ist. Tagesgespräch ist der Kirchentag wenige Tage vor Eröffnung dennoch nicht. Und nicht nur bei gutem Wetter werden viele Dresdner wie jedes Jahr über ein verlängertes Himmelfahrtswochenende Reißaus nehmen. Das war beim Katholikentag 1994 nicht anders.

Wichtiger als Kaffeesatzleserei über die Resonanz und Akzeptanz bei den Eingeborenen ist aber der eindeutig feststellbare Zuspruch bei den Gästen. Katrin Göring-Eckardt bestritt in einem Zeitungsinterview nicht ausdrücklich, dass dies auch an der gastgebenden "Stadt mit starker Ausstrahlung" liegen könne, wenn auch bei Weitem nicht allein an deren touristischer Anziehungskraft. Über 100.000 Besucher werden erwartet, davon etwa 4.000 aus Osteuropa. Für sie liegt die Elbe natürlich näher als der Rhein.

"Warum Kirche zu Menschenfeindlichkeit nicht schweigen kann" ist ein "Podium Rechtsextremismus" am Freitag im Kongresszentrum überschrieben. Dresden ist nicht nur touristisch attraktiv, sondern um den 13. Februar herum jährlich auch Anziehungspunkt für den größten Nazi-Aufmarsch in Europa. Der Missbrauch des Gedenkens an die Zerstörung Dresdens hat die Stadt in ein Dilemma gestürzt. Ob diese Diskussion mehr erreicht als kürzlich ein Symposium des Innenministeriums über den Umgang mit den Nazi-Märschen, bleibt abzuwarten. Dort waren keine Kirchenvertreter eingeladen. Bei den Mahnwachen am 13. Februar dieses Jahres spielte aber neben den Kirchen auch das Kirchentagsbüro eine wichtige Rolle.

Soeben erst hat der renommierte Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer von der Uni Bielefeld den Dresdnern selbst bescheinigt, dass sie nicht auffällig zum Rechtsextremismus neigen. Was freilich wenig über den seit Jahrhunderten beschriebenen höfischen und stockkonservativen Geist in der Residenz aussagt.

1 Jun 2011

AUTOREN

Michael Bartsch
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