taz.de -- taz-Serie Berliner Bezirke (9): Tempelhof-Schöneberg: Der zähe Kampf der letzten Mieter

Immobilien-Investoren entdecken Tempelhof-Schöneberg. Die Mieter wehren sich, doch die Parteien wiegeln ab. Städtebau geht im Bezirk vor Mieterschutz.
Bild: Viel mehr als nur ein Stadtteil mit ehemaligem Flughafen: Der Berzirk Tempelhof-Schöneberg

Nein, schön ist das Haus tatsächlich nicht. Es ist eines von denen, die in den 50er und 60er Jahren schnell errichtet wurden, um die Schneisen zu füllen, die die Bomben des Zweiten Weltkriegs in Wohngebiete geschlagen hatten. Brauner Putz fünf Stockwerke hoch, immerhin Balkone nach hinten raus, ein Garten. Den Anflug von Attraktivität seiner ersten Jahre hat es längst verloren. Die Außenseite der Balkons wellt sich, die Klingelschilder sind speckig, die Fassade könnte dringend einen neuen Anstrich gebrauchen. Doch es geht nicht immer nur um Schönheit.

Fred Skroblin geht es um günstigen Wohnraum. "Ich will keine Prenzlauerbergisierung haben", sagt er. Deshalb steht er an einem sonnigen Samstag im Juli beim Solifest im Garten der Barbarossastraße 59/60 zwischen Bierbänken und Lautsprecheranlage und versucht, Optimismus zu verbreiten.

Das ist gar nicht so einfach, die Situation ist verfahren. Das Gelände gehört seit zwei Jahren dem Investor Hochtief. Der möchte das 60er-Jahre-Gebäude abreißen und neue Wohnungen bauen. Zu Details äußert sich das Unternehmen nicht. Älteren Informationen zufolge sollen vor allem Eigentumswohnungen entstehen, die im Schnitt 3.350 Euro pro Quadratmeter kosten sollen. Damit der Investor so bauen kann, wie er möchte, muss die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) einen neuen Bebauungsplan beschließen. Das wird voraussichtlich im August der Fall sein. Doch die Anwohner wollen das Projekt verhindern.

"Aus dem Weg, Kapitalisten", schallt aus den Lautsprechern im Garten der Barbarossastraße. Klassische Protestmusik ohne klassische Protestklientel. Die 30 Menschen, die sich eingefunden haben, sind Nachbarn, Passanten, Mitglieder der Linkspartei, die sich als Einzige komplett gegen die Baupläne stellt. Mieter des Hauses sind nur wenige dabei - es gibt kaum noch welche.

107 Wohnungen gibt es in dem Gebäude. Es sind kleine, die 30, 40 Quadratmeter groß sind und höchstens um die 270 Euro warm kosten. Wer hier wohnt, lebt meist alleine. Umso mehr, seitdem vor zwei Jahren die schrittweise Entmietung des Hauses begann. Zuerst hörten die Neuvermietungen auf. Über die Zeit danach berichten die Mieter von Briefen, in denen von Kündigung die Rede war und von einer kleinen Abfindung, wenn man schnell und schmerzlos ausziehe. Zehn Wohnungen seien noch bewohnt, sagt Skroblin.

Skroblin ist Anwalt, er klagt gegen die Kündigung und legt Wert darauf, dass es auch um das große Ganze gehe. Um den Kiez, um den Bezirk. Er beobachte, dass in den letzten Jahren zunehmend Baulücken geschlossen würden. Durch Häuser mit Fußbodenheizungen und Aufzug, mit großen Terrassen und repräsentativen Eingangsbereichen. Nichts für die Mieter, die hier wohl eines Tages weichen müssen. Skroblin glaubt: Erst waren die Bezirke im Osten dran, dann Kreuzberg und jetzt eben Tempelhof-Schönberg.

Es gibt Zahlen, die Skroblin Recht geben: Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) stellte Ende vergangenen Jahres fest, dass die Mietpreise in Tempelhof-Schöneberg zwar noch etwas unter dem Berliner Durchschnitt liegen. Doch die Mieter waren hier am stärksten von Steigerungen der Bestandsmiete betroffen: um 3,1 Prozent auf 4,72 Euro pro Quadratmeter stieg der Schnitt 2009 im Vergleich zum Vorjahr. Die Vermutung des Verbands gleicht der Skroblins: Nach den Ostbezirken sei nun der Westen mit den Modernisierungen dran. Bei Neuvermietungen listet der Immobilienverband Deutschland den Bezirk Tempelhof-Schöneberg für den Zeitraum 2009 bis Mai 2011 über dem Berliner Durchschnitt: Während die Mieten Berlinweit um 7,3 Prozent gestiegen seien, hätten Mieter in Standardwohnlagen in dem Bezirk 8,6 Prozent mehr auf den Tisch legen müssen. Gerade die Wohnlage also, in der Skroblin und seine Nachbarn wohnen.

Wenn eine Wohnung am Viktoria-Luise-Platz, einem sanierten Quartier, versteigert werde, erzählt eine Mitarbeiterin im Grundbuchamt, würden die Interessenten Unsummen bieten, da gebe es gar kein Halten. Zahlen nennt sie nicht, doch Immobilienanbieter listen sanierte oder Neubauwohnungen in der Gegend mit drei bis vier Zimmern im mittleren sechsstelligen Bereich. Nur ein Teil wird an künftige Bewohner verkauft, der Rest fällt unter die Rubrik "Kapitalanlage". Und mit der Schließung des Flughafens Tempelhof sind nicht nur Wohnungen im Schillerkiez auf der Neuköllner Seite, sondern auch die Quartiere in Tempelhof heiße Kandidaten für steigende Mieten.

"Es ist tatsächlich ein deutliches Anziehen bei den Mietpreisen zu erkennen", sagt Stefan Böltes, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD in der BVV. Trotzdem seien Abriss und Neubau richtig: "Es ist ein städtebaulicher Fortschritt." Weil die neue Bebauung in der Barbarossastraße der vor dem Krieg entsprechen werde. "Uns ist bewusst, dass dort dann eine andere Klientel wohnen wird." Aber die soziale Mischung im Kiez sei nicht gefährdet. Noch nicht.

"Schauen Sie sich das Gebäude doch an", sagt Peter Rimmler (CDU) auf die Frage, warum seine Fraktion für den Abriss ist. "Das neue Gebäude schmückt unseren Bezirk." Das wiege Nachteile auf, die zu Lasten Einzelner entstehen könnten.

Auch die Grünen werden vermutlich für den Bebauungsplan stimmen - wenn der letztlich vorsieht, dass in Richtung Park nicht gebaut wird, betont der Fraktionsvorsitzende Jörn Oltmann. Ihm geht das Thema merkbar an die Nieren. Er berichtet von abgebrochenen Ausschusssitzungen, von persönlichen Anfeindungen. "Es war ganz schlimm teilweise." Das Verhalten der Grünen sieht er als Kompromiss: Gebe es keinen neuen Bebauungsplan, könnte der Investor trotzdem abreißen und in den jetzigen Grenzen neu bauen. Für die jetzigen Mieter wäre das immerhin ein kleiner Sieg: Es würde nicht dichter gebaut als bislang, das Grün bliebe.

Dass CDU, SPD und Grüne für den Abriss sind oder zumindest nicht dagegen, könnte der Linkspartei nutzen. Bislang stellt sie einen einzigen Bezirksverordneten. Für eine Fraktion reichte das noch nicht - 70 Stimmen fehlten zum zweiten Mandat. "In diesem Bezirk brodelt es", sagt der Bezirksverordnete Harald Gindra im Hof der Barbarossastraße.

Das Konfliktpotenzial dürfte so schnell nicht ausgehen: Alleine die Barbarossastraße ist fast komplett von Neubauten gesäumt.

2 Aug 2011

AUTOREN

Svenja Bergt

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