taz.de -- Kommentar Antisemitismus: Sozialismus der dummen Kerls
In den sozialistischen Diktaturen hat nie eine Aufarbeitung der Judenverfolgung stattgefunden. Kein Wunder, dass antijüdische Vorurteile in Osteuropa weiter wabern.
Der Antisemitismus ist der Sozialismus der dummen Kerls", soll August Bebel gesagt haben. Der nicht belegte Ausspruch des Mitbegründers der deutschen Sozialdemokratie veranschaulicht ein Besorgnis erregendes Phänomen, das im 19. Jahrhundert die Umrisse einer Ideologie anzunehmen begann. In weniger als 100 Jahren bewahrheiteten sich die Befürchtungen Bebels in Auschwitz.
Die Zahl derer, die in Osteuropa die Verbrechen an den Juden leugnen oder sogar rechtfertigen, wird immer größer. Dies ist insbesondere in Ländern wie Rumänien, Ungarn, den baltischen Staaten oder Kroatien zu beobachten. Der Grund: In Zeiten der kommunistischen Diktatur hat es keine Vergangenheitsaufarbeitung gegeben.
In der offiziellen Geschichtsschreibung wurden die Bewohner dieser Länder als Opfer der deutschen Nazis dargestellt, die für die Errichtung des Sozialismus gekämpft und gelitten haben. Von Judenverfolgungen war in dieser Geschichtsklitterung kaum die Rede. Auch über die eigenen "willigen Vollstrecker" breitete man lieber den Mantel des Schweigens.
Im Schatten der Diktatur hat der gesamte Katalog antijüdischer Vorurteile und Ansichten überlebt. Belege dafür liefern unzählige antisemitische Schriften, die seit 1989 den Markt überfluten. Darin werden skandalöserweise Juden in alter Manier als "Blutsauger", "Kommunisten", "Wucherer", "Rassenschänder" oder "Christusmörder" diffamiert, die an allen Ärgernissen des Übergangs zu einer neuen Wirtschaftsordnung die Schuld tragen. Juden werden je nach Belieben beschuldigt, den Kommunismus eingeführt oder abgeschafft zu haben. Solche Ideen finden sich sogar in akademischen Kreisen.
In diesen Ländern treten die "Kerls", vor denen Bebel warnte, erneut mit wehenden Fahnen an. Ihr beliebtestes Zielobjekt sind wieder: die Juden.
12 Aug 2011
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