taz.de -- EU-Kommissar Oettinger zur Schuldenkrise: Bei Schlendrian Flagge auf Halbmast!
Günther Oettinger will griechische Steuern von EU-Beamten eintreiben lassen. Eindringlich warnt er vor dem Ausschluss Griechenlands aus der Euro-Zone.
BERLIN dpa/dapd/rtr | Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) hat der griechischen Verwaltung "Schlendrian" vorgeworfen und vorgeschlagen, EU-Beamte mit der Privatisierung des griechischen Staatsbesitzes und der Steuereintreibung zu beauftragen. Die "offensichtlich wenig leistungsfähige Verwaltung in Griechenland", sei ein Problem, sagte Oettinger der Bild-Zeitung. Die Behörden schafften es nicht, ausstehende Steuern einzutreiben oder Staatsbesitz zu verkaufen. "Deshalb sollten dies EU-Beamte übernehmen", sagte Oettinger.
Es wäre am besten, wenn qualifizierte Beamte aus den übrigen EU-Staaten zur Beratung und Durchführung der Verwaltung für einen längeren Zeitraum in Griechenland tätig würden. "Sie könnten ohne Rücksicht auf Widerstände agieren und den Schlendrian beenden", sagte Oettinger. Die griechische Regierung müsse diesem Verfahren als Gegenleistung für die zugesagten Finanzhilfen zustimmen. "Wer Solidarität von den anderen Staaten einfordert, muss auch bereit sein, einen Teil der Verantwortung auf Zeit abzugeben", so Oettinger weiter.
Gleichzeitig hat Oettinger die bisherige Praxis der Maßnahmen gegen EU-Schuldensünder-Länder infrage gestellt und sich dafür ausgesprochen, Sanktionen so zu verändern, dass sie für Regierungen eine "Zumutung" wären. So sollten zum Beispiel die Flaggen der betroffenen Länder vor den EU-Gebäuden auf Halbmast gesenkt werden. "Ich habe Zweifel, ob die bisher vorgeschlagenen Sanktionen wirklich zielführend sind", sagte Oettinger. Es mache wenig Sinn, einem Staat mit Geldstrafen zu drohen, wenn er die Verschuldungskriterien erneut nicht einhalten kann. "Man kann doch einem nackten Mann nicht in die Tasche greifen", sagte er.
Eindringlich warnte der EU-Kommissar vor einem Austritt Griechenlands aus der Eurozone: "Das spaltet Europa und wäre ein verheerendes Signal. Es würde der Eindruck entstehen, dass die EU nicht einmal in der Lage ist, ein vergleichsweise kleines Land zu stabilisieren. Dann würden uns Gläubiger und Märkte in Zukunft überhaupt nicht mehr trauen."
9 Sep 2011
ARTIKEL ZUM THEMA
Die Äußerung, Schuldensünder sollten an den "Flaggenpranger", fliegt EU-Kommissar Günther Oettinger jetzt um die Ohren. Im EU-Parlament fordert man eine Entschuldigung oder den Rücktritt.
Angesichts einer schlechten Wirtschaftsprognose zeigt Griechenlands Ministerpräsident Kampfgeist. Gekämpft wird auch auf der Straße. Und einer wappnet sich bereits für die Pleite.
Frankreich stimmt als erstes Land der Euro-Zone dem Rettungsschirm für Griechenland zu. Anders als in Deutschland regt sich gegen diesen Einsatz kaum Widerstand.
Ängstlich blicken Brüsseler Diplomaten auf die Abstimmungen in den nationalen Parlamenten. Viele Skeptiker hoffen auf ein Nein aus Deutschland oder Finnland.
Griechenlands Finanzminister Venizelos bestreitet, dass die Verhandlungen mit der Troika ins Stocken geraten sind. Das glaubt ihm aber niemand.
Griechenland hofft auf weitere acht Milliarden Euro. Erst wenn die Kontrolleure zufrieden sind und die Geberländer zustimmen, gibt es Ende September die nächste Rate.
Jedes vierte Geschäft in der Athener Innenstadt musste in den letzten anderthalb Jahren schließen. Wie der griechische Mittelstand versucht, über die Runden zu kommen.