taz.de -- Bezirksamtsleiter wil Obdachlose vertreiben: Herr Schreiber baut einen Zaun
Der Bezirk Mitte zäunt den Bereich unter der Brücke in der Helgoländer Allee ein. Dort übernachteten Punks und Wohnungslose. Die Aktion sorgt für Empörung.
Es ist der zweite Versuch, Punks und Obdachlose von ihrem Schlafplatz in der Nähe von Landungsbrücken und Bismarck-Denkmal zu vertreiben: Der Bezirk Mitte hat einen Stahlzaun unter der Kersten-Miles-Brücke in der Helgoländer Allee aufgestellt, damit unter ihr keiner mehr übernachtet. Die Brücke war jahrelang Aufenthaltsort für Wohnungslose.
Im vergangenen Jahr beschloss die Bezirksversammlung den Umbau als "Wiederherstellung des historischen Zustands" der Brücke. Es sollte aber auch möglichst ungemütlich für Obdachlose werden. In der ersten Jahreshälfte wurden die alten Bunker unter der Brücke dann abgerissen, ein Bachlauf angelegt und Felssteine verteilt. Der Umbau kostete den Bezirk 100.000 Euro, für den Zaun hat die Verwaltung jetzt weitere knapp 20.000 Euro locker gemacht.
Lars Schmidt-von-Koss, der Sprecher des Bezirks Mitte begründet die Aktionen mit Beschwerden von vielen Seiten: Anwohner hätten sich über die Vermüllung im Park beklagt, Touristen und Passanten über den Zustand geärgert. Außerdem habe es Verbrechen unter der Brücke gegeben: Schmidt-von-Koss spricht von einer Vergewaltigung und einem Totschlag unter den Obdachlosen. Das habe für Angst gesorgt. Er behauptet: "Wir sind die Letzten, die Obdachlose vertreiben, wenn es keine Beschwerden gibt." Aber wenn es die gebe, müsse der Bezirk handeln, sagt er. Schließlich sei das Übernachten in Parks eine Ordnungswidrigkeit. Vor dem Umbau habe man den Obdachlosen und Punks außerdem Alternativangebote gemacht.
Beschwerden über Obdachlose hat es laut Bezirk jedoch auch nach der Umbau-Aktion gegeben. Schreiber verbreitete zunächst, man werde dann eben mehr Feldsteine unter der Brücke befestigen. Das, sagt Schmidt-von-Koss, hätte bis zu 30.000 Euro gekostet. Deshalb gebe es jetzt den Zaun. In der nächsten Woche werde ein Hinweisschild angebracht, wo Obdachlose Hilfe finden können.
Die Mitarbeiter des Straßenmagazins Hinz&Kunzt sind entsetzt über die Aktion des Bezirks. Es sei zynisch, wenn kurz vor dem Winter eine viel genutzte Platte abgesperrt würde, obwohl es zu wenige Unterkünfte in Hamburg gebe, sagt Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer. Das Geld hätte man besser für mehr Unterkünfte ausgeben sollen.
Gerade osteuropäische Obdachlose seien auf den Schutz unter Brücken angewiesen, weil sie seit Mitte Juli nicht mal mehr im "Pik As" aufgenommen werden. Die Sozialbehörde betrachtet sie als Touristen und gewährt ihnen deshalb dort keine Hilfe. "Es ist unerträglich, dass Menschen in Not vertrieben werden, nur damit die Umgebung für Touristen gut aussieht", sagt Karrenbauer und fordert ein Machtwort von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), das die rigide Politik von Schreiber stoppen solle.
Auch der Fraktionschef der Grünen in der Bezirksversammlung ist nicht angetan: Ihm sei das "höchst suspekt", sagt Michael Osterburg. Die Grünen, in der letzten Legislaturperiode Koalitionspartner der CDU, hätten zwar für den Umbau gestimmt, aber nur unter der Bedingung, dass die Obdachlosen Alternativen angeboten bekommen. "Wir haben auf Hilfsangebote gesetzt und nicht auf Repression."
21 Sep 2011
AUTOREN
ARTIKEL ZUM THEMA
Unter der Kersten-Miles-Brücke haben es sich rund zehn Obdachlose eingerichtet - mit gespendeten Dingen. Davon haben sie so reichlich, dass viel übrig bleibt.
Der Protest gegen die Politik von Markus Schreiber (SPD) reißt nicht ab - doch der Bezirks-Chef macht weiter: Die Bahn bekommt Hausrecht am Hauptbahnhof.
Am Freitagnachmittag wurde der Stahlzaun, der in Hamburg-St. Pauli Obdachlose und Punks vor dem Übernachten unter einen Brücke abhalten sollte, weggeflext.
Damit keine Obdachlosen mehr unter einer Brücke schlafen, hat die Hamburger Verwaltung einen Zaun errichtet. Das reicht noch nicht: Es gibt die Chance, aus dem Ort einen echten Touristen-Magneten zu machen. Sieben Ideen, wie das gelingen könnte.
Ein Netzwerk in Hamburg fordert bessere gesundheitliche Versorgung für Wohnungslose. Das System sei nicht auf sie ausgerichtet - erst recht nicht für Sterbende.
Ryszard Kwiecien träumt von einem Job in Deutschland - und erwacht in einer Hamburger Altpapiertonne. Nach Polen zurück will er nicht. Bis ihm ein Streetworker hilft.