taz.de -- Fernsehen in China: Unterhaltung verboten

Die chinesische Aufsichtsbehörde fürs Fernsehen will Unterhaltungs- und Realityshows streng begrenzen. Der schlechte Einfluss auf das Volk sei zu groß.
Bild: Gut überwacht: Fernsehen in China.

PEKING taz | "Lieber in einem BMW weinen als auf dem Fahrrad lachen": Mit diesem Satz, gesprochen in einer populären Fernsehshow, wurde die junge Chinesin Ma Nuo im ganzen Land berühmt und berüchtigt.

Während die Zuschauerquoten zur Freude des Senders stiegen, ereiferten sich im Internet und in den Zeitungen ihre Landsleute über das Mädchen. Sie hatte unverblümt gesagt, was auch im heutigen materialistischen China ziemlich unkorrekt klingt: Niemals würde sie einen armen Mann heiraten – Liebe hin oder her.

Um die 1,3 Milliarden Chinesen künftig vor dem schlechten Einfluss von Leuten wie Ma Nuo zu bewahren, hat die staatliche Aufsichtsbehörde für Rundfunk und Film in Peking jetzt neue Direktiven gegen "ausschweifende Unterhaltung" und "Geschmacklosigkeit" im Fernsehen verkündet: Vom kommenden Januar an soll die Zahl von Partnersuch-, Talent- und Plaudertalk-Shows und anderen Vergnügungsprogrammen in 34 TV-Sendern kräftig eingeschränkt werden.

Stattdessen soll das Fernsehvolk "gesunde" Kost vorgesetzt bekommen. Konkret bedeutet das: In der Hauptsendezeit, zwischen 19.30 Uhr und 22 Uhr, darf jeder Kanal nur ein Unterhaltungsprogramm von höchstens 90 Minuten Dauer ausstrahlen. Dafür sollen neue Nachrichten- und Informationseinheiten eingeführt werden, mindestens zwei Stunden am Abend.

Genaue Definitionen von "ausschweifender Unterhaltung" und "nachrichtenrelevanten" Sendungen fehlen noch. Aber jeder Sender muss, berichtete jetzt die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua, "ein Programm schaffen, das traditionelle Tugenden und zentrale sozialistische Werte vermittelt". Damit das klappt, sollen auch populäre Moderatoren aus dem demokratischen Taiwan nicht mehr so häufig im Fernsehen der Volksrepublik auftreten.

Alle Sender sind staatlich

Um sicherzustellen, dass sich die Fernsehverantwortlichen von ihrer Aufgabe der moralischen Erziehung nicht durch materielle Erwägungen ablenken lassen, wird ihnen verboten, Zuschauerquoten zu erheben.

Die Zensurdirektive kommt zu einer Zeit, in der Chinas TV-Sender in den Provinzen und der Zentrale einen heftigen Wettbewerb um Zuschauer und Werbeeinnahmen ausfechten. Alle Fernsehsender sind in China staatlich, sie finanzieren sich aber in der Regel mit Werbung. Die Einschränkungen richten sich nun vor allem gegen jene Provinzsender, die dem in der Hauptstadt stationierten Sender mit oft witzigeren und einfallsreicheren - aber auch enorm flachen - Programmen Konkurrenz machen. Der strenger kontrollierte Zentralsender CCTV ist ausgenommen.

In den Diskussionsforen des Internets stießen die neuen Vorschriften auf Hohn und Spott. "Die Regierung bestraft die korrupten Funktionäre nicht", schrieb ein Kommentator, "aber sie wollen uns davon abhalten, uns zu amüsieren!"

"Pure Despotie", schrieb ein anderer. Ein Dritter: "Ist mir egal, wenn sie diese Unterhaltungsprogramme stoppen, solange sie nicht jeden Sender in einen ,Roten Kanal' verwandeln, wo wir jeden Abend revolutionäre Lieder hören müssen."

27 Oct 2011

AUTOREN

Jutta Lietsch

ARTIKEL ZUM THEMA

Netzlenkung in China: Lasst tausend Zensoren blühen

Knapp 500 Millionen Chinesen sind online. Eine Mammutaufgabe für die Zensoren. Besonders wenn die "Occupy"-Bewegung nach China drängt und Blogger mit Worten spielen.

Chinapolitik der EU: Es bleibt inkohärent und konzeptlos

Der jährliche EU-China-Gipfel ist abgesagt. Die Eurorettung ist wichtiger. Aus Berlin heißt es, es gebe keinen stärkeren Koordinationsbedarf gegenüber Peking.

Angefahrenes Kind in China: Zweimal überfahren und liegengelassen

Das Kleinkind Yue Yue wurde bei einem Unfall schwer verletzt - helfen wollte zunächst niemand. Der Fall hat eine Debatte über den Zustand der Gesellschaft in China ausgelöst.

Demonstrationen in China: Selbstverbrennungen aus Protest

Schon acht tibetische Mönche haben sich in diesem Jahr angezündet. Grund ist der wachsende Druck auf ihre Klöster durch chinesische Behörden.