taz.de -- Hilfe kommt nicht an: Bezirke bummeln beim Bildungspaket
Weniger als die Hälfte der sozial benachteiligten Kinder profitiert vom Bildungspaket - in manchen Bezirken ist es gar nur ein Drittel. Der Aufwand sei viel zu hoch, sagt etwa Marzahns neuer Bürgermeister.
Im Detail sind die Ergebnisse verheerend: In manchem Bezirk bekommt nicht einmal ein Drittel der anspruchsberechtigten Kinder Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket. Zwar liegt Gesamtberlin im bundesdeutschen Durchschnitt, für den sich Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) gerade feiern lässt. Aber in Marzahn-Hellersdorf, Mitte oder Steglitz-Zehlendorf bleiben die meisten Anträge auf Schulessen, Nachhilfe oder Vereinsmitgliedschaft unausgefüllt. Wenn sich das nicht ändert, sagt Noch-Sozialsenatorin Carola Bluhm (Linkspartei), "dann wurde das Ziel des Pakets und die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts verfehlt."
Nach vielen Querelen zwischen Bund und Ländern war das Bildungspaket im April gestartet. Ausgehend von einem Bundesverfassungsgerichtsurteil sollten die Zukunftschancen sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher damit verbessert werden. In Berlin sind rund 200.000 anspruchsberechtigt. 110 Millionen Euro stellt der Bund für sie zur Verfügung. Doch ein Großteil der Leistungen wird auch ein halbes Jahr nach Einführung nicht abgerufen: Eine Auswertung der Senatsozialverwaltung zeigt, dass in Berlin nicht einmal für jedes zweite berechtigte Kind Leistungen beantragt wurden.
Überlastetes Jugendamt
Dabei liegen Bezirke wie Neukölln mit über 60 Prozent Antragstellern an der Spitze der Statistik. Ähnliche Quoten können auch Charlottenburg-Wilmersdorf, Friedrichshain-Kreuzberg, Spandau und Treptow-Köpenick vorweisen.
Warum andere Bezirke nicht einmal 30 Prozent der Kinder erreichen, dafür hat die Sozialverwaltung "keine strukturelle Erklärung". So sei zum Beispiel die Sozialstruktur Neuköllns nicht grundlegend anders als die in Mitte. "Wir konnten nicht feststellen, dass das Paket in den Bezirken unterschiedlich stark beworben wird", sagt Olaf Möller, Sprecher der Jobcenter, in denen ein Teil der Anträge abgegeben werden muss. Auch Dieter Haase aus dem Landesvorstand der Lehergewerkschaft GEW kann nur mutmaßen: "Das Jugendamt Mitte, dass Eltern an die Beantragung erinnern könnte, ist zum Beispiel völlig unterbesetzt und überlastet."
Kaum Zusatznutzen
Stefan Komoß (SPD) ist Bürgermeister in Marzahn-Hellersdorf, wo nur für rund 35 Prozent der Anspruchsberechtigten Anträge gestellt wurden. Nach Rücksprache mit dem örtlichen Jobcenter sieht Komoß dafür zwei Gründe: Der Aufwand der Beantragung sei vielen zu hoch und der Zusatznutzen nicht attraktiv genug. So bekäme man zwar 10 Euro pro Monat für den Sportverein. Zusätzliche Kosten für Sportgeräte und -kleidung könne die Familie aber nicht stemmen.
Für die Frage, warum dann aber in Neukölln für zwei Drittel der Kinder Leistungen beantragt werden, war am Freitag niemand aus der Bezirksverwaltung erreichbar. Möller von der Arbeitsagentur mutmaßt: "Unter Bürgermeister Buschkowsky wird ordentlich getrommelt, dass alle Neuköllner ihre Leistungen auch beantragen." Außerdem sei die Vernetzung zwischen Schulen, Ämtern, Jobcenter bis runter in die Musikschulen gut.
Mit gerade mal 28 Prozent Antragsquote ist Steglitz-Zehlendorf absolutes Schlusslicht in der Statistik. Der Referent des Bildungsstadtrats, Ingo Gruner, hat "keine Ahnung, woran das liegt". Der Bezirk habe damals sofort eine Arbeitsgruppe gebildet, zusätzlich zur Senatsverwaltung Infomationsblätter an Schulen und Bürgerämter geschickt. "Aber wir können die Eltern auch nicht zur Beantragung zwingen."
4 Nov 2011
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