taz.de -- SPD-Ministerin über Betreuungsgeld: "Ein Rückfall in die fünfziger Jahre"

Baden-Württemberg will das geplante Betreuungsgeld verhindern. Es macht die Arbeit von Integrationsbeauftragten zunichte, sagt SPD-Sozialministerin Katrin Altpeter.
Bild: Streit um die Kinderbetreuung: Baden-Württemberg will die Mittel für das Betreuungsgeld lieber für Kita-Plätze verwenden.

taz: Frau Altpeter, Baden-Württemberg hat am Freitag einen Initiativantrag gegen die Einführung des Betreuungsgeldes in den Bundesrat eingebracht. Inzwischen wenden sich auch zahlreiche Verbände gegen die "Herdprämie". Ist das Betreuungsgeld zum Scheitern verurteilt?

Katrin Altpeter: Ich hoffe, dass das Betreuungsgeld scheitert. Es ist kompletter Irrsinn, und das sowohl aus pädagogischer als auch aus familien- und frauenpolitischer Sicht.

Was ist so falsch am Betreuungsgeld?

Es gibt Kinder, die werden zum Beispiel in ihrer Sprachförderung behindert, wenn sie zu Hause betreut werden statt in einer Kita.

Aber nicht alle Eltern, die ihr Kind gern länger zu Hause betreuen, haben Sprachprobleme, die sie auf ihre Kinder übertragen.

Aber die muss man ja dafür nicht belohnen. Genauso wenig muss man Eltern das Au-pair-Mädchen bezahlen, wenn sie Teilzeit arbeiten und das Kind trotzdem nicht in eine Kita bringen, so wie das der Plan von Familienministerin Kristina Schröder vorsieht. Ich bekomme ja auch kein Geld, wenn ich nicht ins öffentliche Hallenbad gehe oder in die staatlich bezuschusste Oper.

Für manche Eltern sind die 100 Euro, die ab 2013 gezahlt werden sollen, und die 150 Euro ab 2014 nötig in der Haushaltskasse. Mancherorts ist ein Kita-Platz viel teurer.

Deswegen müssen die Anstrengungen ja auch von anderer Seite kommen: Oberste Priorität muss sein, den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für unter Dreijährige ab 2013 durchzusetzen - und zwar für alle Kinder und nicht nur für ein Drittel von ihnen, so wie das jetzt geplant ist.

Baden-Württemberg ist allerdings nicht dafür bekannt, dass es dort ausreichend Kinderbetreuungseinrichtungen gibt.

Das ist richtig. Deswegen hat die grün-rote Landesregierung vor Kurzem den "Pakt mit den Kommunen für Familien mit Kindern" beschlossen: Für den Ausbau von Kita-Plätzen stellt das Land nächstes Jahr zusätzlich 315 Millionen Euro bereit. Außerdem wird die Schulsozialarbeit erstmals finanziert, mit 15 Millionen Euro jährlich. Und für die Sprachförderung der Drei- bis Sechsjährigen werden allein im kommenden Jahr 11 Millionen Euro ausgegeben.

Dann gehen Eltern, die ihre Kinder partout nicht in eine Kita geben wollen, leer aus. Ist das nicht ungerecht?

Nein. Eltern können es halten, wie sie das wollen. Sie können Elternzeit nehmen und Vätermonate oder das sein lassen. Ich will da gar nichts vorschreiben. Aber es ist nicht einzusehen, dass sie finanziell belohnt werden sollen, wenn sie ihre Kinder von Förderung fernhalten. Da schicken unsere Kommunen zum Beispiel Integrationsbeauftragte zu Migrantenfamilien, um sie davon zu überzeugen, ihre Kinder in die Kita zu bringen. Und jetzt kommt die Bundesfamilienministerin und bietet ihnen Geld dafür, genau das nicht zu tun. Ein Irrsinn! Die Summen, die für das Betreuungsgeld vorgesehen sind, sollten bundesweit so rasch wie möglich in den Ausbau der Kita-Infrastruktur gesteckt werden.

Ist das Betreuungsgeld ein finanzielles oder ein kulturkämpferisches Problem?

Als Kulturkampf würde ich das nicht bezeichnen. Aber es ist absolut nicht zeitgemäß, ein Rückfall in das Frauenbild der fünfziger Jahre. Wir haben heute die bestausgebildete Frauengeneration, die es je gab. Wir haben ein Demografieproblem und einen Fachkräftemangel. Wenn gut ausgebildete Frauen durch das Betreuungsgeld längere Zeit vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden, verschlechtert das die Situation. Wir dürfen auf die guten Potenziale von Frauen heute nicht mehr verzichten.

28 Nov 2011

AUTOREN

Simone Schmollack

ARTIKEL ZUM THEMA

Koalitionsstreit um Betreuungsgeld: 23 CDU-Abgeordnete meutern

Das CSU-Lieblingsprojekt Betreuungsgeld steht auf der Kippe. Nicht nur die SPD fordert den Stopp der für 2013 geplanten Sozialleistung. Die CDU-Spitzen sind alarmiert.

Christine Haderthauer über Betreuungsgeld: "Die Krippe ist kein Pflichtprogramm"

Die Babypause ist kein Karrierekiller, findet die bayerische Arbeitsministerin Haderthauer (CSU). Und das Betreuungsgeld habe nichts mit Erwerbstätigkeit zu tun.

Bundestagsanfrage zum Betreuungsgeld: Planlos im Familienministerium

Die SPD wollte in einer Anfrage wissen, wie es um das Betreuungsgeld steht und was es kostet. Das Familienministerium antwortet zumeist: "Wir haben keine Ahnung."

Familienreport des Familienministerium: Vätermonate senken die Scheidungrate

Der neue "Familienreport 2011" der Regierung, der der taz vorab vorliegt, stellt der Elternzeit ein gutes Zeugnis aus. Er fasst die aktuelle Forschung zusammen.

Union streitet um Erziehung: Milliarden für die Mütter

Die CDU-Frauen wollen Eltern mehr Rente schenken - ein Geschenk, das Milliarden kosten wird. Bisher findet sich noch niemand, der das bezahlen möchte.

Kommentar Kristina Schröder: Die Blockadeministerin

Schröder gilt als das schwächste Mitglied im Kabinett, Familien fühlen sich von ihr nicht vertreten und Frauen winken ab, wenn sie nur ihren Namen hören.

CSU-Pläne fürs Betreuungsgeld: Staat soll die Kinderfrau mitbezahlen

Die CSU-Ministerin Haderthauer fordert, dass auch die "Managerin mit Kinderfrau" Betreuungsgeld bekommen soll. Die meisten Deutschen wollen unterdessen lieber mehr Kitaplätze.

Koalition beschließt Betreuungsgeld: "Herdprämie" in Sicht

Die Regierungskoalition will für Kleinkinder, die nicht in die Kita gehen, ein Betreuungsgeld von bis zu 150 Euro pro Monat zahlen. Der Bundesrat kann das noch stoppen.

Kristina Schröders Herdprämie: Herkules und die Schönheit

Familienministerin Schröder (CDU) will, dass alle Eltern für ein Jahr Betreuungsgeld bekommen, die ihre Kinder nicht in die Kita bringen. So richtig gut findet das keiner.