taz.de -- Taz-Serie: Die Grenzen des Wachstums: Gründliche Verdauung statt Durchfall
Der US-Ökonom Herman Daly propagiert eine Ökonomie des langfristigen Gleichgewichts. Eine Wirtschaft, die ständig wachse, stoße zwangsläufig an ihre Grenzen.
WASHINGTON taz | Er war einer der ersten US-amerikanischen Ökonomen, der den Glauben an das Wachstum verloren hat. "Ein wachsender Durchsatz", meint Herman Daly, Wirtschaftsprofessor der University of Maryland, "führt dazu, dass immer mehr von derselben Nahrung durch einen immer größeren Verdauungstrakt gepresst wird".
Genauso wie jeder Darm dabei irgendwann schlapp mache, stoße auch die Wirtschaft an ihre Grenzen. Diesem Wachstum stellt er den Begriff Entwicklung gegenüber, der bedeute, "bessere Nahrung zu essen und diese gründlicher zu verdauen".
Der Schüler des rumänisch-französischen Ökonomen Nicholas Georgescu-Roegen hatte sich während eines Lehrauftrags in Brasilien ein Bild davon gemacht, was Bevölkerungswachstum heißt. Daraufhin entwickelte er die Theorie der Wirtschaft der langfristigen Stabilität, die er 1977 erstmals in seinem Buch "Steady State Economics" vorstellte.
Langfristige Balance
War es bis dahin gängige These, dass die Menschen sich - selbst wenn sie immer mehr würden - mit verbesserten Technologien und Alternativen ständig neue Ressourcen zunutze machen könnten, so stellte Daly sich quer: Die Erde an sich befinde sich langfristig in einer Balance.
Oberfläche und Masse bleiben gleich, "der Zufluss an Strahlenenergie entspricht dem Abfluss (der Treibhauseffekt hat die Abstrahlung verlangsamt, aber der daraus resultierende Temperaturanstieg wird sie wieder vergrößern); und Materialimporte aus dem Weltraum sind etwa so groß wie die Exporte (beides vernachlässigbare Größen)".
Innerhalb dieses stabilen Zustands gingen jedoch eine ganze Reihe an qualitativen Veränderungen vor sich, allen voran das Wachsen des Untersystems Wirtschaft, das im Gesamtsystem immer mehr Raum einnehme. "Je mehr sich die Wirtschaft der Größe der gesamten Erde annähert, desto stärker muss sie sich der physikalischen Verhaltensweise der Erde fügen", so Daly: Sie muss einen langfristig stabilen Zustand entwickeln.
Verzweifelt an den Jüngern des Marktes
Die traditionelle Sichtweise der Ökonomen nennt Daly "arrogant". Besonders gespürt habe er das in seiner Zeit als Ökonom in der Umweltabteilung der Weltbank. Dort half er, politische Richtlinien zu nachhaltiger Entwicklung zu entwerfen - und verzweifelte an den Jüngern des Marktes: "Sie glauben an die Ideologie des Wachstums und sehen Umweltschutz als Hemmnis."
Daly kündigte und widmete sich ganz der Verbreitung seiner Theorie, zu der er mehrere Bücher und weit über 100 Artikel verfasste. Allein in seiner Lebenszeit habe sich die Weltbevölkerung verdreifacht, sagt der 73-Jährige. Die Zahl der Handys, Autos und anderen Konsumgüter explodiere. All diese Dinge beanspruchten die Umwelt.
Zugleich trieben sie das Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf Kosten der Natur nach oben. Wie absurd die bloße Aufrechnung von Wachstum sei, zeige beispielsweise die jüngste Ölpest im Golf von Mexiko: "Weil so viele Firmen dafür bezahlt wurden, die Schäden zu beheben, hatte diese Katastrophe am Ende tatsächlich positive Auswirkungen auf das BIP."
Wachstumsbremse
Besonders belastend sei auch die zunehmende Bedeutung der Finanzwirtschaft. "Wenn es schwierig wird, realwirtschaftliches Wachstum zu erzielen, wächst man eben in eine symbolische Richtung." Vierzig Prozent der wirtschaftlichen Profite der USA liegen inzwischen bei der Finanzwirtschaft. "Wir häufen immer mehr Schulden an, um immer mehr Wachstum zu finanzieren. Und dann brauchen wir noch mehr Wachstum, um diese Schulden zurückzuzahlen", so der Ökonom. "Wenn die Wirtschaft stagniert, fällt alles in sich zusammen."
Den Weg zur langfristigen Stabilität sieht Daly in einer Politik, die dem Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum entgegenwirkt. Die reichen Länder bremsen ihr Wachstum, damit Ressourcen für die ärmeren Länder frei werden, und konzentrieren sich auf Entwicklung, auf technische und soziale Verbesserungen, die sie dann frei mit den ärmeren teilen.
4 Jan 2012
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