taz.de -- Arbeitslosenstatistik sinkt erneut: Schöne neue Rekordbilanz

Die Arbeitslosigkeit ist offiziell auf dem niedrigsten Stand seit 20 Jahren, doch abgesicherte Jobs schwinden. Experten warnen vor "abgehängten Arbeitslosen".
Bild: Taucht in keiner Arbeitslosenstatistik auf: Obdachloser auf "Hartz 5".

BERLIN taz | Die Arbeitsmarktbilanz 2011 erzählt eine Erfolgsgeschichte: 2,97 Millionen Personen wurden offiziell als arbeitslos geführt, das sind 263.000 weniger als 2010. Die Arbeitslosigkeit lag im Schnitt bei 7,1 Prozent (West: 6 Prozent, Ost: 11,3 Prozent). Diese Zahlen gab die Bundesagentur für Arbeit (BA) am Dienstag in Nürnberg bekannt.

Deutschland hat damit die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 20 Jahren. "Ausschlaggebend dafür ist die gute konjunkturelle Entwicklung", sagte BA-Chef Frank-Jürgen Weise. Für 2012 rechnet er trotz möglicher Konjunkturabschwünge nur mit "knapp unter drei Millionen" Arbeitslosen. Auch Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sieht den Arbeitsmarkt "nach wie vor in grundsolider Verfassung".

Trüber fällt die Bilanz aus, betrachtet man die Zahl der Unterbeschäftigten. Dazu gehören laut BA nicht nur die offiziell gezählten Arbeitslosen, sondern auch jene, die in Beschäftigungsmaßnahmen stecken oder vorübergehend arbeitsunfähig sind. Im Schnitt waren das 2011 4,15 Millionen Personen.

Viele neue Jobs in der Leiharbeit

Durchwachsen ist auch die Qualität der neuen Jobs: Zwar nahm die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung 2011 gegenüber 2010 um 719.000 Stellen zu, sie hat das Vorkrisenniveau überschritten. Doch langfristig ist der Anteil dieser abgesicherten Jobs gesunken: 1992 lag die Quote noch bei 76,8 Prozent, 2010 bei 68,3 Prozent.

Viele neue Jobs sind 2011 zudem in der Leiharbeit entstanden: Hier gab es ein Plus von 114.000 Stellen, im verarbeitenden Gewerbe waren es im gleichen Zeitraum 140.000. "2011 wurde die Chance verpasst, die Weichen für mehr gute Arbeit zu stellen", kritisierte etwa Sabine Zimmermann, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linksfraktion, diese Entwicklung.

Der Abbau der Arbeitslosigkeit schritt bei den Beziehern des Arbeitslosengeld I schneller als bei den Beziehern des ALG II (Hartz IV) voran: Zwischen 2010 und 2011 ging die Zahl der ALG-I-Empfänger um 19 Prozent zurück, die der ALG-II-Empfänger hingegen nur um 6 Prozent. 2011 bezogen im Schnitt 830.000 Personen ALG I, 4,61 Millionen ALG II. Rechnet man nicht erwerbsfähige Kinder hinzu, benötigten weiterhin 6,15 Millionen Personen die Grundsicherung.

Arbeitsagentur schließt mit positivier Bilanz

Auch weil die Kosten dieser Sozialleistung gesunken sind, wird die BA das Jahr mit einem Plus von rund 70 Millionen Euro abschließen. Auswirken dürften sich dabei auch schon die Kürzungen der Beschäftigungsmaßnahmen: 2011 kam auf 2,4 Arbeitslose eine geförderte Person. 2010 lag die Förderintensität noch bei 2,1.

"Diese Entwicklung wird sich 2012 weiter verschärfen", warnte die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Brigitte Pothmer. "Es droht die Verfestigung eines Kernbestands dauerhaft abgehängter Arbeitsloser." Auch DGB-Bundesvorstandsmitglied Claus Matecki mahnte: "Der Handlungsbedarf am Arbeitsmarkt ist größer, als es die Zahlen suggerieren."

3 Jan 2012

AUTOREN

Eva Völpel

ARTIKEL ZUM THEMA

Arbeitslosenzahl leicht gestiegen: Zu kalt zum Arbeiten

Die Zahl der Arbeitslosen ist wieder leicht gestiegen, auf über 3 Millionen. Grund soll das schlechte Wetter sein. Im Vergleich zum Januar 2011 sank sie aber wieder ab.

Rekordhoch bei Leiharbeit: So viel wie nie kurzfristig angestellt

So viele Leiharbeiter wie 2011 gab es noch nie. Der Branchenverband rechnet nun aber mit einer Stagnation. Die Hälfte der Jobs dauerte nur drei Monate.

Deutsche Wirtschaft wächst – und schrumpft: Wie gewonnen, so zerronnen

Boomjahr mit Konjunkturdelle: Das Bruttoinlandsprodukt stieg 2011 um satte 3,0 Prozent. Doch im 4. Quartal gab es erstmals seit 2009 einen BIP-Rückgang. 2012 ist eine Stagnation möglich.

Sozialpolitik in Deutschland: Arbeitslose werden schneller arm

Nirgends sonst in der EU ist das Armutsrisiko für Arbeitslose höher als in Deutschland. Die Gefährdungsquote liegt bei 70 Prozent. Jeder vierte neue Arbeitslose erhält direkt Hartz IV.

Debatte Jobwunder: Die Lüge von der Arbeit

Die Realität ist unerfreulich: Die Hartz-Reformen haben keine neue Arbeit geschaffen. Doch die Politik druckt fleißig Propaganda-Plakate, die das Gegenteil behaupten.

So viel Arbeit war noch nie: Mehr malochen

Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland steigt auf ein Rekordniveau. Damit einher geht ein Strukturwandel hin zu mehr Leih- und Teilzeitarbeit.