taz.de -- Havarie der "Costa Concordia": Kollision dank altem Seemannsbrauch

Mindestens fünf Menschen starben, als das Kreuzfahrtschiff "Costa Concordia" kenterte. Dem Kapitän wird fahrlässige Tötung vorgeworfen.
Bild: Bis auf wenige hundert Meter steuerte der Kapitän das Schiff an die Insel Giglio heran.

ROM taz | Fünf Tote, Dutzende Verletzte und immer noch mindestens 17 Personen vermisst: Das war am Sonntagmittag die vorläufige Bilanz des Kenterns des Kreuzfahrtschiffs Costa Concordia vor der toskanischen Isola del Giglio.

Das Unglück ereignete sich am Freitagabend kurz nach 21.30 Uhr, nur zwei Stunden nachdem das mit modernster Technologie ausgerüstete Riesenschiff vom etwa 100 Kilometer nördlich von Rom gelegenen Hafen Civitavecchia in See gestochen war. Die Reise sollte durchs westliche Mittelmeer führen.

Doch obwohl die See ruhig war, es kaum Wind gab und die Sichtverhältnisse gut waren, ging plötzlich ein starker Ruck durch das Schiff. Unmittelbar darauf fiel der Strom aus. Die Costa Concordia hatte direkt vor der Isola del Giglio, der "Lilieninsel", einen Granitfelsen geschrammt; dabei war ein Felsbrocken abgerissen und ins Schiffsinnere eingedrungen.

Die Ursache: Statt im gebührenden Abstand von drei bis fünf Seemeilen hatte Kapitän Francesco Schettino sein Schiff bis auf wenige hundert Meter an die Insel herangesteuert. Er folgte damit einem alten Brauch der Costa-Kapitäne. "Der Fels war in den Navigationskarten nicht eingezeichnet", behauptete Schettino später fälschlicherweise im Verhör.

Dumme Sitte

Tatsächlich hat der Kapitän die dumme Sitte wohl einfach zu weit getrieben. Der Staatsanwalt jedenfalls geht von einem "falsch durchgeführten Manöver" aus, und nahm den Schiffsführer am Sonntag in Haft. Die Vorwürfe: fahrlässiges Herbeiführen eines Unglücks, mehrfache fahrlässige Tötung - und "unerlaubtes Verlassen des Schiffs". Denn während noch Tausende der Hilfe harrten - die Letzten wurden gegen drei Uhr nachts geborgen - war Schettino schon um 23.30 Uhr an Land.

Auch wenn die Reederei beteuert, die "vorgesehenen Sicherheitsprozeduren" seien nach dem Unglück "in den angemessenen Fristen" durchgeführt worden, fügt sich das Verhalten des Kapitäns in das Gesamtbild, das zahlreiche Passagiere zeichneten: Erst sei mit Durchsagen wie: "Wir haben nur ein Problem mit dem Stromgenerator" abgewiegelt worden.

Als dann - fast eine Stunde später - die Evakuierung angeordnet wurde, hätten sich die Besatzungsmitglieder der Situation nicht gewachsen gezeigt. Viele hätten offensichtlich vor allem daran gedacht, selbst von Bord zu kommen.

Panik entstand, Szenen mit Schlägereien um Schwimmwesten spielten sich ab. Vielen blieb nichts als der Sprung ins Wasser. Zwei französische Passagiere und ein Besatzungsmitglied aus Peru ertranken, bevor sie von einem der Boote, die von der Isola del Giglio ausgelaufen waren, aufgenommen werden konnten.

Weiterhin unklar ist der Verbleib von 17 Personen, davon 11 Passagiere und 6 Besatzungsmitglieder. Ein koreanisches Paar auf Hochzeitsreise konnte in der Nacht auf Sonntag aus seiner Kabine befreit werden. Zudem tauchten diverse auf der Vermisstenliste stehende Passagiere wohlbehalten wieder auf, etwa zwei Japaner, die nach der Rettung auf eigene Faust nach Rom gefahren waren. Aber die Rettungskräfte fürchten, dass sich weitere Opfer nicht mehr aus den unteren Decks und Kabinen retten konnten.

15 Jan 2012

AUTOREN

Michael Braun

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