taz.de -- Europaabgeordnete über Brustimplantate: "Der Skandal kam zur rechten Zeit"
Für Medizinprodukte müsse unbedingt eine europäische Zulassungsstelle eingerichtet werden, fordert die SPD-Politikerin und Europaparlamentarierin Dagmar Roth-Berendt.
Frau Roth-Berendt, alle reden über die fehlerhaften Brustimplantate aus Frankreich. Hätte die EU einen solchen Skandal nicht verhindern müssen?
Dagmar Roth-Berendt: Ich will nicht zynisch klingen, aber der Skandal kam zur rechten Zeit. Er riss einige – auch die Europäische Kommission – aus ihrem Trott. Wir haben mit einer Richtlinie von 1993 eine total veraltete Gesetzgebung und die muss dringend reformiert werden. Allerdings müssen wir das Problem losgelöst von den Brustimplantaten betrachten. Es gibt mindestens genauso viele Menschen, die Probleme haben mit einem künstlichen Knie oder einer Hüftprothese.
Was ist denn bisher schief gelaufen?
Zurzeit müssen Hersteller von Medizinprodukten für eine Zulassung nur ihre Unterlagen an eine der zuständigen Anmeldestellen schicken. Allein in Deutschland sind das 16 verschiedene. Da sitzen oft Leute, die verstehen gar nichts von diesem Thema. Wenn da in den Unterlagen steht, dieses oder jenes Gel ist für den menschlichen Körper geeignet, dann wissen sie nicht, ob das stimmt. Sie führen ja auch keine klinischen Studien durch, sondern verlassen sich auf die Informationen des Herstellers. Das geht so nicht.
Was würde helfen?
Am besten wäre eine zentrale Anmeldestelle für Medizinprodukte in der gesamten Europäischen Union. Wenn das nicht geht – und die EU-Kommission ist strikt dagegen, weil sie Angst hat vor Wettbewerbsnachteilen für europäische Unternehmen – dann müssen die Mitgliedsstaaten die Verantwortung und Kontrolle für diese Zulassungsstellen übernehmen. Dann kann es auch nicht mehr 16 verschiedene geben in einem Land.
Die Europäische Kommission fordert vor allem strengere Kontrollen der Hersteller und ein EU-weites Register für Implantate.
Das ist beides wichtig. Wir brauchen zum Beispiel unangemeldete Kontrollen bei den Unternehmen wie es in den USA üblich ist. Die Franzosen haben sich das betroffene Unternehmen zehn Jahre lang überhaupt nicht angeschaut. Aber diese Maßnahmen sind nur die Kür. Ideal wäre doch, wenn alle Produkte, die auf dem Markt zugelassen werden, so perfekt sind, dass man solche Kontrollen und Register gar nicht mehr braucht.
Wie geht es jetzt weiter?
Die Europäische Kommission will in den kommenden sechs Monaten ihren Vorschlag vorlegen. Das dauert alles seine Zeit. Bis die neue Richtlinie in Kraft tritt, bestimmt zwei Jahre. Deshalb müssen wir jetzt dafür sorgen, dass die neue Gesetzgebung auch 2025 noch modern ist.
24 Jan 2012
AUTOREN
ARTIKEL ZUM THEMA
Als sie sich ihre Brüste verschönern ließ, wurde sie betrogen. Nun hat Alexandra Blachère eine Welle losgetreten – für schärfere Kontrollen von Medizinprodukten.
Die Entfernung von PIP-Implantaten ist in Israel kostenlos. Glück im Unglück für Orit, bei der ein Implantat bereits undicht ist. In Deutschland gibt es erste Klagen.
Experten schätzen, dass etwa 10.000 Frauen bundesweit die minderwertigen Brust-Implantate der Firma PIP eingesetzt bekamen. Besonders betroffen sind Düsseldorf und Hamburg.
Bevor Medizinprodukte auf den deutschen Markt kommen, müssen sie getestet werden. Um neue Therapien kümmert sich die zuständige Behörde nicht. Wer dann?
Das Bundesgesundheitsministerium verweigert sich der strengeren EU-Regulierung von Medizinprodukten. Mehr Überwachung soll helfen.
Um Medizinprodukte besser zu überwachen, müsste es ein EU-weites Gesetz geben. Nun schlagen Medizinprüfer einen Gesetzestrick für Deutschland vor.