taz.de -- Proteste in Italien: Stillstand auf der Standspur

Italiens Freiberufler gegen Montis Reformvorschläge: Lkw-Fahrer blockieren die Straßen, Taxifahrer streiken, Kioskbesitzer und Rechtsanwälte sind kurz davor.
Bild: Von Bozen bis Sizilien Stillstand: LKWs blockieren die Ringstraße um Turin.

ROM taz | "Monti? An die Großen, an die Banken, an die Versicherungen geht er nicht ran mit seinen Liberalisierungen. Dafür schikaniert er uns Taxifahrer!" Franco schäumt vor Wut, genauso wie hunderte seiner Kollegen, die sich am Circus Maximus in Rom versammelt haben.

Sie streiken, schon seit mehr als einer Woche ist Rom meistens taxifrei. "Wachstum will der Herr Premierminister schaffen - jetzt sagen Sie mir mal, was es mit Wachstum zu tun hat, wenn neue Taxilizenzen ausgegeben werden", regt sich Franco auf. "Billiger werden die Fahrten nicht - wir aber verdienen weniger, weil viel mehr von uns sich um den gleichen Kuchen streiten."

Sogar mit Kapitän Schettino von der "Costa Concordia" muss Monti sich auf der Streikversammlung vergleichen lassen: "Falsch manövriert" gelte schließlich für alle beide. Die Hauptsorge der "Tassisti": Viele von ihnen haben Unsummen für die Lizenz ausgegeben, bis zu 200.000 Euro, und fürchten, dass der Schein an Wert verliert. Doch an Verkehrsblockaden denken sie erst einmal nicht.

Für die sorgen schon die Lkw-Fahrer, die seit Montag von Bozen bis nach Sizilien die wichtigsten Verkehrsadern lahmgelegt haben, um die Regierung zum Einlenken zu zwingen. Die gerade erhöhte Mineralölsteuer - Diesel kostet mehr als 1,70 Euro - und die erneut gestiegene Autobahn-Maut sowie die Aufschläge bei der Einkommensteuer seien nicht mehr verkraftbar.

Produktionsstop bei Fiat

Die Wirkungen des Protests zeigten sich sofort. In allen Fiat-Werken des Landes musste wegen ausgebliebener Zulieferungen schon am Dienstag die Produktion gestoppt werden, in Kalabrien wird das Benzin knapp, in Neapel sind die Mehlvorräte so niedrig, dass schon von Mitte der Woche das Brot in den Bäckereien ausgehen könnte.

"Ich streike demnächst auch", kommentiert Sandro trocken, während er an seinem Stand die Zeitungen auspackt. Er meint das nicht als Witz - auch die Zeitungshändler sind aufgebracht wegen Montis Marktliberalisierungsprogramm. Selbst Zeitungskioske sind bisher nämlich streng reglementiert - so muss der Mindestabstand zum nächsten Konkurrenten 200 Meter betragen, sonst gibt es keine Lizenz. Damit soll in Zukunft Schluss sein.

"Aber der Gipfel ist doch, dass wir demnächst auf Zeitungen Rabatt gewähren können - soll ich dann die Tageszeitung mit 10 Cent Abschlag anbieten?! Oder eine Happy Hour einführen?" Schon jetzt verdiene er an Printerzeugnissen nur 19 Prozent des Ladenpreises, nach Abzug seiner Kosten blieben 10 Prozent - "gebe ich Rabatt, arbeite ich gratis."

Doch Monti lässt sich von solchen Einwänden nicht beeindrucken. Italien könne nur dann wieder Fahrt gewinnen, wenn "die Verkrustungen aufgebrochen werden", meint er, und das gehe nur gegen die vielen "korporativen Interessen", die das Land im Griff hätten.

Anwälte und Apotheker machen sich bereit

Monti, so scheint es, tritt damit die Protestwelle los, die im Dezember nach der Verkündigung seines 30-Milliarden-Sparprogramms ausgeblieben ist. Und Italiens Bürger beginnen, Streikkalender zu studieren. Schon haben die Rechtsanwälte zehn Tage Ausstand beschlossen, erbost über die Abschaffung von Mindesttarifen und den Zwang, ihren Klienten demnächst einen Kostenvoranschlag auszuhändigen. Und auch die Apotheker wollen auf die Barrikaden steigen - die Regierung will 5.000 neue Apothekenlizenzen ausgeben.

Bloß die am bequemen Status quo klebenden Standesinteressen würden da verteidigt, meinen die Kritiker der Proteste: "Jeder für sich - und dabei löst das Land sich auf", warnt etwa die Schriftstellerin Lidia Ravera in der linken LUnità.

Politiker aus dem Berlusconi-Lager dagegen zeigen großes Verständnis. Während militante Lkw-Fahrer den Verkehr blockieren und streikunwilligen Kollegen schon mal die Reifen zerstechen, warnen Berlusconi-Leute davor, "den Protest zu kriminalisieren".

Die Gewerkschaften und die Arbeiter des Landes fehlen bisher bei dem Protest. Das aber könnte sich bald ändern. Montis Arbeitsministerin Elsa Fornero ist mit dem Vorschlag vorgeprescht, den Kündigungsschutz aufzuweichen und das Kurzarbeitsgeld zu beschränken.

25 Jan 2012

AUTOREN

Michael Braun

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