taz.de -- Schrecken der Diktatur in Libyen: Gaddafi wollte Rache bis ins Jenseits

Seinen Feinden gönnte Gaddafi nicht mal die Totenruhe. In der Leichenhalle des Zentralkrankenhauses von Tripolis verwalten Beamte den Horror von einst.
Bild: Gnadenloser Herrscher: Muammar al Gaddafi im Jahr 2007.

TRIPOLIS dpa | Es ist kalt im Leichenschauhaus des Zentralkrankenhauses von Tripolis. Die zwei Männer, die in einem kleinen Büro am Eingang Buch führen über die Toten, die gebracht und abgeholt werden, tragen dicke Winterjacken. An einer Wand stehen gekühlte Aufbewahrungskammern aus stumpfem Metall, in denen die Leichen liegen, die noch nicht identifiziert wurden.

Auf einigen der Kammern kleben kleine weiße Zettel, auf die man mit Kugelschreiber notiert hat, wann und wo der Getötete gefunden wurde. Dass ein identifizierter Toter hier länger liegt, kommt praktisch nicht vor. Denn der Islam, die Religion der Libyer, gebietet es, dass jeder Mensch nach seinem Tod möglichst schnell gewaschen und begraben wird.

Links neben den 18 Kammern liegt ein toter Mensch, der nur mit einer Decke bedeckt ist. Neben einer zweiten Bahre steht eine weinende kleine Frau. Sie beugt sich über die Bahre, auf der ihre tote Tochter liegt. Sie ist in ein weißes Laken gehüllt. Nur ihr Gesicht ist zu sehen.

Ihre Mutter und ihr jüngerer Bruder sind gekommen, um sie zu identifizieren und zu beerdigen. Sie starb auf der Straße, getroffen von der Kugel eines Mannes, der mit seinem Gewehr ohne Sinn und Verstand um sich geschossen hatte.

Hinter der schwarzen Eisentür

Die beiden Trauernden wissen nicht, was sich hinter der braun-schwarzen Eisentür verbirgt, die zehn Meter von ihnen entfernt im hinteren Teil des Gebäudes liegt. Hier lagern die Körper von Menschen, denen Libyens rachsüchtiger Gewaltherrscher Muammar al-Gaddafi nicht einmal die Totenruhe gönnte. Die Krankenhausmitarbeiter vermuten, dass es sich um Feinde Gaddafis und deren Angehörige handelt.

Vor dem Sturz Gaddafis, der nach 42 Jahren an der Macht im vergangenen August erst aus Tripolis floh und zwei Monate später in Sirte getötet wurde, wurden auf dem Krankenhausgelände Leichen von Opfern des Diktators aufbewahrt. Niemand durfte darüber sprechen. Angestellte von früher berichteten, auch die Wächter, die vor der Kühlkammer standen, hätten dazu geschwiegen.

Im Oktober brachen die Revolutionstruppen die Tür auf. Sie fanden die Leichen von 16 Männern und einem Säugling. Ein Gerichtsmediziner stellte später fest, dass einige von ihnen bereits seit mehr als 25 Jahren tot waren.

Identifiziert wurde bisher nur einer der Toten, sagen die Männer, die im Leichenschauhaus arbeiten. Es ist ein Mann namens Mohammed Haschim al-Chodeiri, der nach Auskunft der Angestellten 1984 getötet worden war.

"Dar al-Rahma" - Haus der Barmherzigkeit - wird das Leichenschauhaus des Zentralkrankenhauses von Tripolis genannt. Doch wer den süßlichen Leichengeruch riecht, der durch die dunkle Tür im hinteren Gebäudeteil dringt, versteht, dass es nach Jahrzehnten der Brutalität und der Hartherzigkeit noch eine Weile dauern wird, bis das Prinzip der Barmherzigkeit hier Anwendung finden wird.

3 Feb 2012

AUTOREN

Clasmann

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