taz.de -- Jauch talkt über Wulff-Rücktritt: "Ich kann nicht mehr"
Die ARD sendet eine Extra-Ausgabe "Günther Jauch" am Freitag. Die Runde ist sich einig: Der Rücktritt des Präsidenten war richtig. Der Moderator will Feierabend.
Es passt zum Verlauf der Affäre Wulff, dass Günther Jauch nicht bis Sonntag warten konnte, um den Rücktritt des Bundespräsidenten zu besprechen. Freitag, 21.00 Uhr. Die ARD zieht ihren politischen Sonntags-Talk vor. Es kamen die schnell Verfügbaren und die üblichen Verdächtigen: Grünen-Chefin Claudia Roth, Günther Beckstein (CSU), Gerhart Baum (FDP), Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim, Wulff-Freund Dirk Rossmann und Nikolaus Blome, der Leiter des Hauptstadtbüros der Bild. Ein mehrfaches Déja-vu.
Schon wieder Blome, der smart-brave Außenminister jenes Blatts, das den Takt dieser Affäre vorgab, über Wochen ihre Dramaturgie bestimmte. Vielleicht hätte der Chefredakteur der Bild, Kai Diekmann, mehr zu erzählen gehabt. Spätestens als ihm Wulff auf die Mailbox sprach, war er nicht mehr Beobachter in der Affäre Wulff. Sondern Akteur. Doch Diekmann verschanzt sich hinter Kinnbart, schwarzer Brille und ewiger Ironie. Er lässt Blome machen.
Warum fragte Diekmann den Bundespräsidenten um Erlaubnis zur Veröffentlichung der Mailbox-Nachricht, während er deren Inhalt bereits verbreitete? Warum bejubelte Bild Christian Wulff, als er noch in Hannover regierte, in schier aberwitziger Weise? Warum kritisierte sie Wulff erstmals, als er Sarrazin kritisierte? Als er proklamierte, dass der Islam zu Deutschland gehört? Und: Wie laut knallten die Korken im Springer-Hochhaus, am Freitag um 11.02 Uhr?
Ob Jauch diese Fragen gestellt hätte, ist fraglich. Er betrachtet Politik, wie einen Hund, der Purzelbäume schlägt. Er moderiert noch immer wie damals bei "Stern-TV". Sehr schade ist das.
So richtig hitzig wurde die Diskussion nicht, obwohl Dirk Rossmann in der Runde saß. Der Drogerie-Chef, in dessen Unternehmen Bettina Wulff einst arbeitete, gut arbeitete, wie Rossmann sagt, hatte bislang eisern seinen Kumpel verteidigt, sehr laut und sehr hitzig und weniger pastoral als Peter Hintze (CDU), dem anderen prominenten Wulff-Freund.
"Nicht jeder Mücke in den Popo gucken"
An diesem Abend ist Rossmann kleinlaut, fast nachdenklich. Dennoch: die Kreditaffäre nennt er eine "sogenannte Kreditaffäre", nach wie vor. Und den Medien rät er, "nicht jeder Mücke in den Popo zu gucken". Medienschelte eines Drogerieketten-Besitzers.
Die Runde denkt nach. Geschichtsstunde bei Jauch. Günther Beckstein erinnert sich an seinen Rücktritt als Ministerpräsident in Bayern, als alle hinter ihm gestanden sein, aber nicht alle in guter Absicht. Wie es ist, wenn "die eigenen Referenten plötzlich die Referenten des Nachfolger sind", wenn der Personenschutz weg ist und der Dienstwagen, aber auch daran, wie schön es war, dass er plötzlich wieder "selber" Bücher lesen und ins Theater gehen konnte. Er wirkt nicht unglücklich. Fast will man ihn mögen.
Blome, der Brave, der Smarte, wirkt so staatsmännisch an diesem Abend, dass fast jede Geste eine Bewerbung ist für das Amt des Bundespräsidenten. Auch Kai Diekmann würde ja gehandelt, sagt Blome und lacht. Blome macht Witze. Blome schlägt die Beine übereinander. Blome übt sich im Maßhalten. Es ist ein Kolleteralschaden der Affäre Wulff, dass nun Vertreter einer Zeitung, die systematisch einschüchtert und gegen Persönlichkeitsrechte verstößt, im Fernseher darüber räsonieren, was unser Land jetzt braucht, Moral, Anstand, Glaubwürdigkeit und so weiter. Auch das haben wir Wulff zu verdanken.
Blome lächelt milde
Claudia Roth vermisst Selbstkritik bei Wulff, sie will nicht über die Rolle der Medien diskutieren an diesem Abend. Sie freue sich ja auch nicht immer, was in der Bildzeitung stehe. Blome lächelt milde. Er hält das aus. Dann geht es zum Schluss nicht um die Zukunft des Landes, sondern um die Zukunft des gescheiterten Bundespräsidenten, des "gewesenen Bundespräsidenten", wie Blome sagt.
Herbert von Arnim, der Staatsrechtler, dessen Aktien in der Affäre Wulff in die Höhe geschossen sind, der überall Zitierte, sagt das Wort "Ehrensold". Er dehnt das "E": "Eeeeeehrensold!" Das Publikum versteht, was er daran auszusetzen hat und applaudiert. Zum Abschied erfährt der Zuschauer, dass Rossmann erleichtert ist über den Rücktritt seines Freundes, weil Männer um die 50 schon Herzinfarkt gefährdet sind und warum sich Claudia Roth und Günther Beckstein duzen. Die Claudi und der Günther.
Und dann sagt Jauch: Jetzt kann und will ich nicht mehr! Am Sonntag muss er wieder ran. Zeit, gute Fragen auszudenken.
18 Feb 2012
AUTOREN
ARTIKEL ZUM THEMA
Nach Wochen der Berichterstattung über Wulff herrscht Katerstimmung: Die "Bild" räsoniert über Anstand, die bürgerliche Presse restauriert das Amt.
Es wäre nicht das erste Mal, dass die Wahl eines neuen Bundespräsidenten die Koalition in Berlin beeinflusst. Derzeit spricht demnach alles für eine Große Koalition.
Die Suche nach einem Bundespräsidenten soll am Sonntag im Kanzleramt weitergehen. Die SPD möchte keinen Kandidaten vorgesetzt bekommen. Und auch Wulffs Ehrensold wird debattiert.
Zwei Koalitons-Kandidaten sagen ab: Andreas Voßkuhle und Norbert Lammert wollen nicht Präsident werden. Dafür werden aktuell Wolfgang Huber, Petra Roth und Joachim Gauck gehandelt
Christian Wulff stolperte auch über seinen Umgang mit Journalisten. Er war überzeugt, er habe bei der "Bild" echte Freunde gefunden.
Angela Merkel ist erleichtert. Jetzt muss sie den Schaden begrenzen. Jetzt will sie einen Konsens-Präsidenten, um ein Signal für die große Koalition zu setzen.
Auch in der Kuppel des Reichstags lief Wulffs Rücktrittsrede: Wie Besucher des politischen Berlin aus dem In- und Ausland reagierten.
An wen haben Sie Wulffs Mailbox-Nachricht weitergegeben? Als Tondokument oder schriftlich? Wann? 15 Fragen an den Chefredakteur.