taz.de -- Das gefährliche Maß der Erwärmung: Grönlands Eisdecke in Gefahr

Sollten die Kohlendioxid-Emissionen weiter steigen, droht der Verlust der grönländischen Eisdecke. Spanische und deutsche Wissenschaftler simulierten das Szenario nun am Computer.
Bild: Wenn Grönlands Eisberge schmelzen, wird der Meeresspiegel um mehrere Meter steigen.

POTSDAM dpa | Die Erderwärmung setzt den Eismassen Grönlands wahrscheinlich stärker zu als bislang angenommen. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und der Universidad Complutense de Madrid in einer neuen Studie. Sie wird im Journal Nature Climate Change veröffentlicht.

Die Grenze für ein völliges Schmelzen der Eisdecke liegt demnach im Bereich zwischen 0,8 und 3,2 Grad Celsius globaler Erwärmung - dies ist nahezu eine Halbierung des bisherigen besten Schätzwertes. Aktuell werden laut PIK bereits 0,8 Grad globale Erwärmung beobachtet. „Wenn unsere Kohlendioxid-Emissionen weiter wachsen wie bisher, droht ein kompletter Verlust des grönländischen Eisschildes“, sagte PIK-Abteilungsleiter Stefan Rahmstorf.

Dank einer neuen Computer-Simulation meinen die Potsdamer Forscher und ihre spanischen Kollegen besonders verlässliche und realistische Werte errechnet zu haben. „Das Entscheidende der Studie ist, dass wir zeigen können, ab welcher Grenze es tatsächlich gefährlich wird für den grönländischen Eispanzer“, erklärte der Ozeanograph.

Für die Studie wurden zahlreiche Simulationsrechnungen unternommen. Dabei wurden nicht nur mögliche Varianten der Zukunft, sondern auch vergangene Eiszeit-Zyklen durchgerechnet. Das Modell habe sich an der Erdgeschichte bewährt, sagte Alexander Robinson, Hauptautor der Studie. „Deshalb wird der Simulation zugetraut, auch die Zukunft richtig abzuschätzen. Das macht die neue Abschätzung verlässlicher als die vorherigen.“

Die Atmosphäre abkühlen

Tritt das massive Schmelzen des Grönlandeises ein, könnte dies langfristig zu einem Anstieg des Meeresspiegels von mehreren Metern beitragen. „Damit würden wir das Leben vieler Generationen unwiderruflich verändern“, sagte Rahmstorf, der zu den Leitautoren des 2007 veröffentlichten Vierten Sachstandsberichtes des UN-Weltklimarates (IPCC) gehört.

Rückgängig machen ließe sich die Entwicklung allenfalls, wenn die Atmosphäre wieder gekühlt werden könnte. Das jedoch ist aus Sicht der Wissenschaft utopisch. „Dafür würden selbst Null-Emissionen nicht reichen, man müsste aktiv CO2 aus der Atmosphäre entfernen“, erklärte der 52-Jährige.

Wie lange es tatsächlich dauert, bis die Eismassen geschmolzen sind, hängt stark vom Maß der Erwärmung ab. „Je stärker wir die Temperaturgrenze überschreiten, desto schneller schmilzt das Eis“, erklärte Robinson. Bleibe der Ausstoß an Treibhausgasen ungemindert, erreiche die globale Erwärmung langfristig acht Grad.

2.000 oder 50.000 Jahre

Nach den Berechnungen der Klimaforscher würde dies innerhalb von 500 Jahren zu einem Abschmelzen von einem Fünftel der Eisdecke Grönlands führen. Vollständig verloren wäre das Eis demnach in 2000 Jahren. „Das würde man nicht als raschen Zusammenbruch bezeichnen“, räumte Robinson ein. „Allerdings ist es rasch, wenn man es mit dem vergleicht, was bislang in der Erdgeschichte passiert ist. Und wir nähern uns wahrscheinlich bereits der kritischen Grenze.“

Wird die Erderwärmung hingegen auf zwei Grad Celsius begrenzt, würde sich das Schmelzen in einem Zeitraum von 50.000 Jahren abspielen. Sogar mit diesen zwei Grad, die oft als globale Leitplanke für den Klimawandel bezeichnet werden, wäre das Eis aber nicht sicher.

12 Mar 2012

TAGS

Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel

ARTIKEL ZUM THEMA

Streit um Öl- und Uranabbau: Krach im Kopenhagener Verbund

Dänen und Grönländer streiten um Ressourcen: Gletscher auf der größten Insel der Welt schmelzen, Bodenschätze werden leichter zugänglich.

Grönlands Petermann-Gletscher schrumpft: Ein von sterbender Kälte erfüllter Gigant

Nach einem Eisabbruch ist der Petermann-Gletscher nun so klein wie seit 150 Jahren nicht. Forscher glauben, dass ein ständig zunehmendes Abschmelzen bevorsteht.

Anstieg des Meeresspiegels: Bis zu fünf Meter

Eine Studie prognostiziert einen gefährlichen Anstieg des Meeresspiegels in den nächsten 300 Jahren. Das zugrunde liegende Datenmodell ist komplexer als bei früheren Projektionen.

Regisseur taucht im Marianengraben: James Cameron ganz unten

„Angst ist eine gute Sache“, meint „Titanic“-Regisseur James Cameron. Er war mit der „Deepsea Challenger“ am tiefsten Punkt der Erde und ist wohlbehalten wieder aufgetaucht.

Emissionshandel: Eon will mehr zahlen

Von höheren Preisen für CO2-Zertifikate würde der Energiekonzern profitieren. Eon-Chef Teyssen fordert Koordination von Klimaschutz-Fördermaßnahmen und EU-Emissionshandel.

Klimawende kaum noch machbar: Die Wettermaschine schaltet hoch

Die Zahl der Naturkatastrophen in Deutschland hat sich in den letzten 40 Jahren verfünffacht. Laut Experten bleibt nur ein kleines Zeitfenster, um die Erderwärmung umzukehren.

UN-Studie warnt vor Wasserknappheit: Elementare Ressourcen werden knapp

Am meisten Wasser braucht die Landwirtschaft, so eine Studie der Unesco. Und der Konsum wächst. Das sorgt mittelfristig für Wasserknappheit auch in Europa.

Unerwartete Folgen des Klimawandels: Schnee und Kälte dank Erderwärmung

Die Pole schmelzen ab. Das hat einen überraschenden Effekt. Laut einer Studie verursacht die dadurch hervorgerufene Erwärmung kalte und schneereiche Winter auf der Nordhalbkugel.

Wirkung der Erderwärmung auf Flüsse: Prima Klima für die Schiffer

Der Klimawandel hat zunächst kaum Auswirkungen auf den Schiffsverkehr in Deutschland. Das könnte sich in einigen Jahrzehnten ändern, vor allem im Winter.

Russische Truppen in Polarregion: Die Eis-Mauer ist geschmolzen

Früher war die russische Staatsgrenze mancherorts schlichtweg durch Eis geschützt. Durch den Klimawandel hat sich das geändert – nun wird Militär in die Polarregion geschickt.