taz.de -- Twitterbots stören Tibet-Aktivisten: Nicht zensiert, aber geflutet
Unterdrückung geht auch ohne Zensur: Automatisierte Twitterkonten überschwemmen Twitter mit Unsinn – offenbar um Tibet-Aktivisten zu stören.
BERLIN taz | Es sind zumeist inhaltsleere Nachrichten mit vielen Schlagworten (Hashtags) die bei Twitter durchlaufen. Meist geht es um „Tibet" oder deutlicher um „Freetibet" – normalerweise die Schlagworte unter denen sich Tibet-Aktivisten auf Twitter verständigen.
Nun haben Twitterbots – automatisierte Twitterkonten – die Kontrolle über die Schlagworte an sich gerissen, indem sie die Schlagworte mit sinnlosen Nachrichten fluten. Bots sind Twitterprofile, die von Programmen statt von Menschen kontrolliert werden.
In ihrer harmlosen Fassung durchsuchen sie beispielsweise den Kurznachrichtendienst nach bestimmen Schlagwörtern und fassen diese in einem eigenen Kanal zusammen – wer sich für ein bestimmtes Thema interessiert, findet dort alle Nachrichten dazu. Möglich ist aber auch, dass solche Konten von [1][niedrig bezahlten Onlinearbeitern] kontrolliert werden, die für bestimmte Twitterkampagnen eingestellt werden.
In neueren Studien untersuchen Forscher wie Schwärme dieser Programme die sozialen Beziehungen zwischen Menschen beeinflussen können. Beispielsweise wie Menschen [2][aus einem losen Netzwerk zusammengebracht] werden können. Wie ein unliebsames Netzwerk gesprengt werden kann, zeigt sich nun am Beispiel Tibet.
Massenhaft Sinnlos-Tweets
Ein Video der Dokumentarfilmemacherin Erika Rand vom 15. März zeigt, wie im Twitterprogramm Tweetdeck die leeren Twitternachrichten zu Tibet durchrasen (in der Onlinesuche seien sie nicht sichtbar, so Rand). Sinnvolle Beiträge sind kaum lang genug sichtbar, um gelesen zu werden – wer sich neu einklinkt kann kaum einen zusammenhängenden Satz zu lesen finden.
Doch nicht nur der Twitterkanal wird geflutet. Ein Ziel der Nachrichtenflut scheint die tibetanische Dichterin und Aktivistin Tsering Woeser zu sein. Viele der Sinnlos-Tweets sind direkt an ihr Konto [3][@degewa] gerichtet. Andererseits versuchen zwei der Konten den Anschein zu erwecken, selbst Woeser zu sein.
Sie verwenden Variationen ihres Nutzernamens und haben sogar ihr Profilbild übernommen: [4][@degewa1688] und [5][@degewa0168]. Beide Konten haben kaum Kontakte unter anderen Twitternutzern, aber schon Tausende Nachrichten hinausgeschickt. Ein deutliches Zeichen, dass die Konten nicht echt sind.
Wer genau hinter der Twitterflut steckt, ist nicht bekannt. Der Sicherheitsexperte Brian Krebs erinnerte [6][in seinem Blog] an eine ähnliche Strategie, die [7][Twittergespräche von russischen Aktivisten] störten, als diese über vermeintliche Wahlfälschung kommunizierten.
21 Mar 2012
LINKS
AUTOREN
ARTIKEL ZUM THEMA
Werkeln am Parallelnetz: Iran und China entwickeln immer trickreichere Technologien, um das Internet überwachen und blockieren zu können.
Erstmals Selbstverbrennungen in Lhasa: Zwei Mönche haben sich in der tibetischen Hauptstadt mit Benzin übergossen und selbst verbrannt. Einer der Männer überlebte schwer verletzt.
Twitter wurde Opfer von Kriminellen: Tausende Nutzerdaten wurden im Internet veröffentlicht. Wer die Daten gehackt hat, ist derzeit unklar.
Der Jurypreis des „Reporter ohne Grenzen“-Awards geht an Blogger aus China und aus Bangladesch. Dazu wurden die neuen „Feinde der Pressefreiheit" vorgestellt, die sich aus den alten rekrutieren.
Seit Jahresbeginn haben sich schon 14 junge tibetische Mönche aus Protest gegen die chinesische Führung selbst angezündet. In Foren werden sie zu Helden erklärt.
Viel Bewegung bei Twitter: Das Online-Netzwerk wird seine Deutschland-Zentrale in Berlin eröffnen, und der Chef steht auch schon fest. Ein Kurzporträt als Twitter-Stream.
Tratsch, Politik und viel Schwindel – 140 Millionen Nachrichten laufen täglich über Twitter. Wer erfolgreich und glaubwürdig twittern will, muss einiges beachten.
Profile auf Twitter und Facebook werden oft von Programmen kontrolliert. Sie werden selten erkannt und können Beziehungen zwischen Menschen verändern.
Seit den Wahlen in Russland protestieren sie. Auch im Netz. Eine Studentin, ein einst Apolitischer und ein Umweltaktivist erzählen, warum.