taz.de -- Kommentar Verfassungsschutz: Aufklären statt verbieten

Hinter dem Ruf nach einem NPD-Verbot steckt Kalkül. Alle reden über Rechtsextreme und ihre Verbindungen zur NSU, niemand über das Versagen der Sicherheitsorgane.
Bild: Auch in Erfurt: Der Sitz des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz.

Nach dem Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds Ende vorigen Jahres schienen deutsche Innenpolitiker für einen Moment zur Selbstkritik fähig. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich gestand ein, dass „einige Behörden“ völlig versagt hätten.

Heinz Fromm, der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, sprach von einer „Niederlage der Sicherheitsbehörden“. Und Generalbundesanwalt Harald Range nannte die NSU-Morde sogar „unseren 11. September“.

Ehrliche Worte, denen aber bis heute keine praktischen Konsequenzen gefolgt sind. Statt die schonungslose Aufarbeitung des Versagens von Behörden und der Verstrickung von Sicherheitsorganen in die Serie rechtsextremer Morde zu beginnen, lösten Politiker lieber eine neue Auseinandersetzung über ein NPD-Verbot aus.

Kaum war die Nazi-Bande enttarnt, befeuerte der Generalbundesanwalt die Debatte mit der Behauptung, es sei mit „weiteren Belegen“ für die Nähe zwischen NSU und NPD zu rechnen. Dass derselbe Generalbundesanwalt später betonte, es sei nun doch kein direkter Zusammenhang zwischen Terrorgruppe und Partei zu erkennen, spielte schon keine Rolle mehr. Mit der Verbotsdebatte hatten Bundesregierung und Sicherheitsorgane da bereits die Diskurshoheit zurückerobert.

Von der heftigen Kritik am Verfassungsschutz und an der Polizei, die nach dem Bekanntwerden der NSU-Morde wie nie zuvor im Blick der Öffentlichkeit standen, ist kaum noch etwas zu hören. Dass wegen der Pannenserie, die den Neonazis ein dreizehnjähriges Leben im Untergrund mit ermöglichte, sogar in konservativen Medien über die Auflösung des Verfassungsschutzes nachgedacht wurde, scheint vergessen.

Der Wunsch einer großen Mehrheit, das Versagen der Behörden aufzuklären, gegebenenfalls auch drastische Konsequenzen zu ziehen und die demokratische Kontrolle von Geheimdiensten zu verbessern, verblasst. Stattdessen wurden ausgerechnet jene Institutionen, die mit Pleiten und Pannen auf sich aufmerksam gemacht haben, mit neuen Befugnissen im Kampf gegen Rechtsextremismus versehen.

Offenbar steckte Kalkül hinter der Forderung nach Verbot der NPD und der Behauptung, dass es enge Verbindungen zur NSU gebe: Inzwischen reden alle über die rechtsextreme Partei, aber niemand spricht mehr über die Sicherheitsorgane. Die politisch Verantwortlichen, Polizei und Verfassungsschutz können beruhigt sein. Wir nicht.

29 Mar 2012

AUTOREN

Andreas Speit

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