taz.de -- Missbrauchsfall an Grundschule: "Ein Gefühl der Sicherheit geben"

Der Schulpsychologe Klaus Seifried warnt vor Panik. Entscheidend sei es, Ruhe zu bewahren - und den Opfern schnell therapeutische Hilfe zu geben.
Bild: An dieser Grundschule wurde die Achtjährige schwer sexuell missbraucht.

taz: Herr Seifried, was ist im Umgang mit Missbrauchsfällen an Schulen wichtig?

Klaus Seifried: Die Ruhe zu bewahren. Durch das Bekanntwerden gravierender Fälle und die Berichterstattung in den Medien werden Ängste bei Eltern und Kindern geschürt.

Brauchen die Schulen mehr Sicherheit?

Auch Videokameras, Eingangskontrollen oder Schließanlagen können keine hundertprozentige Sicherheit geben. Sexualstraftäter finden Wege, um in Kontakt mit Kindern zu kommen – auf Spielplätzen, auf dem Schulweg oder in der Familie selbst. Berliner Schulen sollen ein offener Ort des Lernens bleiben und keine Festungen werden.

Was würden Sie Eltern raten?

Ebenso wie Lehrer sollten sie den Kindern sagen, dass die Schule ein sicherer Ort ist und die Erwachsenen sie beschützen. Wenn sie etwas Verdächtiges beobachten, sollten sie sofort Erwachsene ansprechen und um Hilfe bitten.

Wie können Eltern ihren Kindern im Umgang mit ihrer Angst helfen?

In erster Linie sollten sie den Kindern ein Gefühl der Sicherheit geben. Gleichzeitig können Sie die Kinder altersgerecht auf Gefahren vorbereiten. Das betrifft das Verhalten im Straßenverkehr genauso wie die Gefahr, die von Sexualstraftätern ausgeht. Es ist wichtig, Kindern zu sagen, wie sie sich verhalten sollen, wenn ein fremder Mann sie anspricht oder belästigt. Sie sollten misstrauisch sein, auch wenn der Mann nett ist und ihnen etwas schenken will.

Was können die Schulen in dieser Hinsicht tun?

Auch Lehrerinnen und Lehrer sollten Kinder auf Gefahrensituationen vorbereiten. Das gilt für die Verkehrserziehung ebenso wie für den Umgang mit Mobbing, Gewalt oder sexueller Belästigung. An allen Berliner Schulen gibt es Notfallpläne. Hier steht, was in solchen Gefahrensituationen zu tun ist.

Und wie kann das Umfeld bei der Verarbeitung eines Missbrauchs behilflich sein?

Die Verarbeitung ist bei Kindern sehr unterschiedlich. Manche leiden ihr Leben lang daran. Besonders wichtig ist es, dass die Opfer und ihre Familien schnell therapeutische Hilfe bekommen. Aber auch das Umfeld, die Mitschüler und Lehrer sind häufig stark belastet und brauchen schulpsychologische Unterstützung. Es geht darum, dem Opfer, seiner Familie und der Schule Stabilität zu geben und sie in einen Alltag zurückzuführen.

INTERVIEW

30 Mar 2012

AUTOREN

Jasmin Kalarickal

ARTIKEL ZUM THEMA

Bericht zur Sicherheits-Debatte: Wie offen darf die Schule sein?

An einer Weddinger Schule ist ein Mädchen von einem Unbekannten missbraucht worden. Das wirft die Frage auf, wie sehr die Einrichtungen sich abschotten müssen