taz.de -- Bundesverwaltungsgericht zum Fluglärm: Zumindest die Nachtruhe bleibt
Klares „Nein“ der Richter: Beim Bundesverwaltungsgericht hatte Hessen wegen 17 Ausnahmen zum Nachtflugverbot geklagt. Auch andere Revisionen wurden verworfen.
LEIPZIG taz | Die hessische Landesregierung hat das Recht und die Gerichte völlig falsch eingeschätzt. Am Flughafen Frankfurt genehmigte sie 17 Nachtflüge, angeblich um bei einer Klage von Fluggesellschaften keine Niederlage zu erleiden. Jetzt kam es genau andersherum. Das Land erlitt eine Niederlage, weil es 17 Nachtflüge genehmigt hatte. Auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) bestätigte an diesem Mittwoch das Nachtflugverbot am Frankfurter Flughafen.
Der Frankfurter Flughafen ist der größte in Deutschland und nach Paris und London der drittgrößte in Europa. Pro Tag starten und landen mehr als tausend Jets, Tendenz steigend. Deshalb plante der Flughafenbetreiber Fraport Ende der 90er-Jahre den Bau einer vierten Landebahn und eines dritten Terminals. In einer Mediation mit Anliegern und Kommunen einigte man sich im Jahr 2000: Als Ausgleich für die neue Landebahn solle es am Frankfurter Flughaften erstmals ein Nachtflugverbot von 23 bis 5 Uhr geben.
Der damalige Ministerpräsident Roland Koch (CDU) versprach: „Es bleibt dabei: Kein Ausbau ohne Nachtflugverbot.“ Auch der Landesentwicklungsplan wurde entsprechend geändert. Dann aber machte die Lufthansa Druck und drohte mit einer Klage. Das Land Hessen gab nach und genehmigte bei der Planfeststellung 2007 doch 17 Nachtflüge zwischen 23 und 5 Uhr.
Gegen die neue Landebahn Nordwest klagten zahlreiche Anwohner und Kommunen, etwa Offenbach und Rüsselsheim. 2009 lehnte der hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) die generellen Klagen gegen den Ausbau ab. Allerdings hielt er die Genehmigung der Nachtflüge für rechtswidrig. Sie verstießen gegen das Luftverkehrsgesetz und den Landesentwicklungsplan. Die Bürger hätten nachts Anspruch auf besonderen Schutz. Beide Seiten, Kommunen und das Land, legten Rechtsmittel ein.
Im Oktober 2011, zehn Tage vor der offiziellen Eröffnung der neuen Landebahn, verfügte der VGH per Eilbeschluss, dass bis zur Entscheidung des BVerwG das Nachtflugverbot bereits anzuwenden sei. Jetzt haben die Leipziger Richter im Wesentlichen die Linie des VGH bestätigt: Der Ausbau war rechtmäßig, die Nachtflüge sind unzulässig.
Formfehler des Landes
Allerdings sah das BVerwG schon einen Formfehler des Landes. Weil Fraport gar keine Nachtflüge beantragt hatte, hätte das Land vor deren Genehmigung eine Anhörung mit Betroffenen durchführen müssen. Deshalb hoben die Richter die Nachtflugregelung auf. Das Land muss im Zuge einer Planergänzung nun neu über die Nachtflüge entscheiden. Im Ergebnis muss es aber beim Verbot von Nachtflügen zwischen 23 und 5 Uhr bleiben. Der Spielraum des Landes sei auf „annähernd null“ eingeschränkt, erklärte der Vorsitzende Richter Rüdiger Rubel.
Sogar noch strenger als der Kasseler VGH zeigte sich das Leipziger Gericht bei den „Nachtrandstunden“, also von 22 bis 23 Uhr und von 5 bis 6 Uhr. Während der VGH hier die beantragten 150 Flüge akzeptierte, hält das BVerwG grundsätzlich nur 133 für zulässig. Will das Land mehr genehmigen, muss ein Konzept „zum Kern der Nacht hin abschwellenden und danach wieder ansteigenden Flugverkehrs“ eingehalten werden. Tagähnliche Belastungsspitzen müssten vermieden werden. „Auch in den Randstunden darf die Nacht nicht zum Tag gemacht werden“, betonte Richter Rubel.
Grundsätzliche Bedeutung hat das Leipziger Urteil, weil es die VGH-Argumentation mit dem Landesentwicklungsplan akzeptierte. „Damit haben die Länder künftig große Einflussmöglichkeiten auf den Fluglärmschutz“, sagt Tobias Lieber, der Anwalt der Stadt Rüsselsheim.
Im Kern sind die Kommunen allerdings gescheitert. Eine Stillegung der Landebahn stand in Leipzig nicht mehr ernsthaft zur Debatte. Die Kläger müssen deshalb zusammen auch drei Viertel der Kosten bezahlen.
Auch eine Vorlage des Fluglärmschutzgesetzes beim Bundesverfassungsgericht lehnten die Leipziger Richter ab. Es gebe keine durchschlagenden Gründe, dass die dortigen Grenzwerte für Fluglärm den Schutz der Bevölkerung zu sehr vernachlässigten. Nach dem 2007 novellierten Fluglärmgesetz haben am Frankfurter Flughafen rund 174.000 Menschen Anspruch auf Schallschutzfenster und teilweise auf Entschädigungen. (Az: 4c8.09 u. a.)
4 Apr 2012
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