taz.de -- Piraten-Wahlkampf in Schleswig-Holstein: Fragen Sie meine Mutter

Bei Schleswig-Holsteins Piraten knirscht und knackt es. Den Erfolg der Polit-Aufsteiger bei der Landtagswahl wird das aber nicht verhindern - im Gegenteil: Gerade das Unfertige der Piratenpartei macht sie attraktiv.
Bild: Zieht vielleicht mit seiner Mutter und seinem Stiefvater ins Parlament ein: Torge Schmidt, Spitzenkandidat der Piratenpartei in Schleswig-Holstein.

Torge Schmidt läuft durch die Flensburger Fußgängerzone. In der Hand hält der Spitzenkandidat der Piraten in Schleswig-Holstein Faltblätter, es sind noch alte Exemplare. Die Wahlkampf-Flyer sind noch nicht da. Inhalt: Freiheit des Internets, Bürgerrechte – die klassischen Piraten-Themen. Dabei wollten sie bei dieser Wahl beweisen, dass sie für mehr stehen. Ihr Werbespruch: „Jetzt mit mehr Inhalt.“

Mehr als ein Dutzend Mitglieder verteilen Flyer. Einer trägt eine orangene Perücke – die Parteifarbe. So sieht der Wahlkampf der Piraten aus. Große Kundgebungen gibt es nicht, sie haben keine Promis, die Hallen füllen.

Es ist Anfang April und der Piraten-Hype hat einen neuen Schub bekommen. Im Saarland sind sie in den Landtag eingezogen. Rund 50 neue Mitglieder hat das in Schleswig-Holstein in einer Woche gebracht. In Umfragen stehen sie bei fünf Prozent, zwei Wochen später wird es zweistellig sein. Der Hype kommt zu schnell. Doch es sieht so aus, als würden die Piraten eben wegen ihrer Unfertigkeit gewählt, als wären überforderte Anfänger attraktiver als ausgebuffte Profis.

In einem Café in einer Flensburger Shopping-Mall erzählt Torge Schmidt von seiner Piraten-Karriere. Er ist 23 Jahre alt, wohnt in Rendsburg, mitten in Schleswig-Holstein und arbeitet als kaufmännischer Angestellter, für den Wahlkampf nimmt er unbezahlten Urlaub. Schmidt ist ein schlanker, sportlicher Typ, kurze Haare, Kinnbart. Er hat früher mal American Football gespielt, jetzt ist er vor allem Computer-Spieler. Über seine Internet-Gewohnheiten schreibt er: „Twitter und der ganze Web-2.0-Kram gehört zu meinem Leben.“ Er sei schon viel zu abhängig davon. Es folgt ein Smiley.

„Ich sehe noch nicht, dass wir fix im Landtag drin sind“, sagt Schmidt. „Unser größtes Problem ist, dass wir zu unbekannt sind.“ Die Piraten müssten ihr Profil schärfen. Wie das gelingen kann? „Das schaffen wir nur über die Parlamente“, glaubt er.

Schmidt hat sich auf dem Parteitag im Oktober gegen zehn Gegenkandidaten durchgesetzt. Er ist wegen der Debatte um die Vorratsdatenspeicherung 2009 in die Partei eingetreten. Der Kieler Landesverband ist im Schnitt deutlich älter als er. Hinter ihm auf der Liste stehen profilierte Leute: ein Zollbeamter, der für die Kennzeichnungspflicht von Polizisten kämpft, ein renommierter Aktivist aus dem Arbeitskreis gegen die Vorratsdatenspeicherung. Und die Ex-Grüne Angelika Beer – Politprofi.

Drei Tage später, Piraten-Stammtisch in einem Restaurant in Henstedt-Ulzburg mit Spitzenkandidat Schmidt. Sie sitzen eine Tischreihe entlang, Bier und Kerzen stehen auf dem Tisch. Das neue Info-Material ist da.

Normalerweise koordinieren die Piraten bei den Stammtischen ihre lokalen Wahlkampf-Aktionen und versuchen ein paar Neue kennenzulernen. Doch dieses Mal sind es 25 Leute. Höchstens zehn sind schon länger dabei. Aus dem Stammtisch wird eine Fragestunde. Die Gäste wollen wissen, wie die Partei funktioniert, ob man auch ohne Internet mitmachen kann.

Wo denn die Stromtrasse in der Region langlaufen solle, fragt eine. Die Piraten sind ahnungslos. Der Direktkandidat für Norderstedt antwortet: „Wir sind auch hier, um zu hören wo der Schuh drückt.“ Und Landesthemen? Eine Zuhörerin fragt ab: ökologischer Landbau, Energiepolitik – und wie die Piraten politisch denn zur Knicklandschaft stehen. Zu Ökolandbau und Energiepolitik hat Torge Schmidt Positionen aus dem Programm parat, zu Knicks noch nicht: „Da bin ich überfragt. Meine Mutter ist die beste Ansprechpartnerin.“ Einige sind irritiert. „Sie können doch jetzt nicht mit Ihrer Mutter kommen!“ Schmidt erwidert: „Ich bin tatsächlich 23 Jahre alt. Es ist unrealistisch, dass ich alles weiß.“ Und seine Mutter, Birgitt Piepgras, Listenplatz 9, ist die Piraten-Expertin für Umweltschutz. Was Schmidt an diesem Abend nicht sagt: Noch länger als die beiden ist sein Stiefvater in der Partei: Hans-Heinrich Piepgras, Landesvorsitzender, Listenplatz 7. Kann sein, dass eine ganze Piratenfamilie ins Kieler Landeshaus einzieht.

Die junge Partei hatte schon peinliche Krisen: Teile des Programms sind von anderen Landesverbänden kopiert. Manche Forderungen sind längst erfüllt, Begriffe aus anderen Bundesländern tauchen im Programm auf.

Am vorletzten Aprilwochenende treffen sich die Piraten zu einer gemeinsamen Gesundheitskonferenz der Rentnerpartei. Die Senioren rufen zur Wahl der Piraten auf. Sonntag, 9 Uhr, im lichtdurchfluteten Kieler Wissenschaftszentrum: Die Rentner sind da – doch kaum Piraten. Gekommen ist Pirat Wolfgang Dudda – der Zollbeamte von Listenplatz 2. Er ist aufgebracht, aber nicht wegen der Gesundheitspolitik. Gerade hat er im Internet gelesen, dass Martin Delius, der parlamentarische Geschäftsführer der Piraten in Berlin, den Aufstieg der Piraten mit dem der NSDAP verglichen hat. Dudda ärgert sich über die „politische Tumbheit“.

Wenige Tage zuvor wurde eine Facebook-Statusmeldung des Lübecker Direktkandidaten Manfred Vandersee bekannt. „Der Zentralrat der Juden wird ab 2012 mit 10 Millionen Euro (!) aus hart erarbeiteten Steuergeldern alimentiert! Weitere Kommentare spare ich mir an dieser Stelle.“ Dudda sagt: „Als ich das gehört habe, wollte ich aufhören, weil ich genug hatte.“ Er habe aber mit Vandersee telefoniert und sich umgehört. Dudda hat viel Nettes über Vandersee gehört und glaubt nun, er sei ein radikaler Laizist, der staatliches Geld für alle Religionsgemeinschaften ablehne. Ihm mangele es es an historischem Bewusstsein, eine Spachregelung, die Parteilinie ist. Er ist auch bereit, die Erklärung dafür zu schlucken, dass Vandersee Hinweise auf eine Nazi-Band über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreitet: Als Veranstaltungstechniker würde er von jeder Band einen Link verschicken, für die er arbeite.

Dudda will bei rechten Aussagen differenzieren: „Nazis müssen raus aus der Partei, formulierende Vollpfosten brauchen Nachhilfeunterricht.“ Vandersee fällt in die Rubrik „Vollpfosten“. Dudda sagt: „Die einzigen, die uns im Moment zerlegen können, sind wir selbst.“

27 Apr 2012

AUTOREN

Daniel Kummetz

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