taz.de -- Migranten in Griechenland: „Beherbergt“ hinter Gittern

Im Nordwesten von Athen wird das erste Internierungslager für Einwanderer und Asylsuchende eröffnet. Weitere 50 sollen folgen, gebaut mit EU-Geldern.
Bild: Von der Polizei aufgegriffene Migranten ohne Papiere im neuen Internierungslager.

ATHEN taz | Ausgerechnet eine Woche vor der Parlamentswahl in Griechenland hat der sozialistische Bürgerschutzminister Michalis Chryssochoidis eine vermeintliche Erfolgsmeldung verkündet. Die Regierung habe damit begonnen, illegale Einwanderer und Flüchtlinge in Containerlagern unterzubringen. Dort sollen sie auf ihre Abschiebung warten, falls keine Gründe für eine Asylgewährung vorlägen.

Am Wochenende wurde das erste Lager im Nordwesten Athens nahe der Ortschaft Amygdaleza eröffnet. Über fünfzig Migranten ohne Papiere, die in den vergangenen Tagen bei „verdachtsunabhängigen Kontrollen“ der Polizei im Großraum Athen aufgegriffen wurden, sind bereits dort inhaftiert, bis Ende dieser Woche sollen weitere 150 Personen dazu kommen. Das Lager soll einmal 1.200 Einwanderer aufnehmen können.

Weitere fünfzig Einrichtungen dieser Art sind in Planung und sollen vornehmlich aus EU-Mitteln finanziert werden. Die Athener Tageszeitung Kathimerini berichtet, allein im Jahr 2012 würde die EU-Kommission bis zu dreißig Millionen Euro beisteuern, weitere vierzig Millionen seien für 2013 im Gespräch.

In Griechenland leben heute mehr als eine Million Migranten, deren Rechtslage unsicher bleibt, selbst wenn sie sich jahrelang im Land aufhalten. Jedes Jahr kommen mehr als 100.000 dazu, vor allem über die Grenze zur Türkei. Die Athener Regierung steht unter Dauerbeschuss der EU, weil sie nicht in der Lage sei, die Ostgrenze des Landes, die auch Außengrenze Europas ist, ordentlich zu sichern.

Kritik von Menschenrechtlern

Zudem kritisieren sämtliche Menschenrechtsorganisationen die Lebensbedingungen von Flüchtlingen in Auffanglagern entlang der griechisch-türkischen Grenze. In ihrem jüngsten Bericht spricht die Flüchtlingsorganisation „Pro Asyl“ von einer „humanitären Katastrophe“ in der Region.

Um die Grenzbehörden zu entlasten will Bürgerschutzminister Chryssochoidis nun Containerlager über das ganze Land verteilen. Die Inhaftierten sollen hinter Gittern verharren, das Lager nicht verlassen dürfen und rund um die Uhr von der griechischen Polizei oder privaten Sicherheitskräften beaufsichtigt werden.

Menschenrechtsorganisation kritisieren dies und sprechen von „Haftanstalten“, gelegentlich sogar von „Konzentrationslagern“. Chryssochoidis will das nicht auf sich sitzen lassen. Er spricht lieber von „Beherbergungslagern“, in denen sich die betroffenen Ausländer hoffentlich nicht länger als vier Wochen aufhalten würden. Die Lebensbedingungen seien dort human, die Essensausgabe würde angeblich eine private Cateringfirma übernehmen.

Für sein Vorhaben muss der Bürgerschutzminister auch scharfe Kritik von rechts einstecken. Nicht, dass konservative Politiker sich Sorgen machen würden um die Lebensbedingungen der Insassen im Athener Vorort Amygdaleza. Vielmehr erklären die sich "solidarisch" mit Anwohnern, die gegen das Containerlager in ihrer Nachbarschaft demonstrieren, weil sie die Inhaftierten als Sicherheits- und Gesundheitsrisiko betrachten.

Sozialistisch-konservativer Streit In der labilen Athener Großkoalition zwischen Sozialisten und Konservativen führt das Ganze wahlkampfbedingt zu einem bizarren Streit zwischen dem Sozialisten Chryssochoidis und dem konservativen Minister für Infrastruktur und Verkehr, Makis Voridis. Dieser ist nämlich der Auffassung, das Lager bei Amygdaleza sei „ganz ohne Rechtsgrundlage“ eröffnet worden, da es aus Containern besteht, die ursprünglich für die Erdbebenopfer in der Region gedacht waren und nun auf Anweisung des Bürgerschutzministers umgewidmet werden.

Aus diesem Grund habe Voridis leitende Beamte seines Ministeriums nach Amygdaleza geschickt, damit sie sich ein Bild vor Ort machen, aber ihnen sei der Eintritt in das Lager verwehrt worden, beklagt der Minister für Infrastruktur. Der sozialistische Bürgerschutzminister sieht das anders: „Denjenigen, die einen schwachen und tatenlosen Staat wollen, werden wir keinen Gefallen tun“, erklärte Chryssochoidis über Facebook.

30 Apr 2012

AUTOREN

Jannis Papadimitriou

TAGS

Grenzsicherung

ARTIKEL ZUM THEMA

Überwachung an EU-Außengrenze: Mit Drohnen gegen Geflüchtete

Das EU-Parlament entscheidet über die Überwachung der EU-Außengrenzen mit Drohnen. Die Grünen befürchten, das Recht auf Asyl werde aufgeweicht.

Griechische Rechtspartei erhält Zuspruch: Hitlergruß im Athener Stadtrat

Sie hetzen gegen „Ausländer“ und „Kriminelle“: Die „Politische Bewegung Goldene Morgendämmerung“ liegt bei Umfragen in Griechenland bei 6 Prozent.

Ökonom über Lage in Griechenland: „Die EU lässt Klientelpolitik zu“

Mitten in der Eurokrise steht Griechenland vor den Wahlen. Es wäre besser gewesen, auf den Schuldenschnitt zu verzichten, sagt der Ökonom Yannis Stournaras.

Debatte über Grenzkontrollen in der EU: Friedrich gegen EU-Parlament

Die Innenminister in der EU wollen selbst über Grenzkontrollen entscheiden. Nur aus Schweden kommen Bedenken. Die Verhandlungen werden noch lange dauern.

Wahlkampf in Griechenland: Blanke Hetze gegen Migranten

Parteien machen die Migration zum Thema im Wahlkampf. „Illegale“ Einwanderer seien "Schädlinge" und sollten in Militärkasernen untergebracht werden

Kommentar Selbstmord in Griechenland: Ein Hauch von Zynismus

Manche Politiker leugnen einen Zusammenhang zwischen dem Suizid eines griechischen Rentners und der Wirtschaftkrise. Das könnte Gewaltpotenzial freisetzen.

Griechische Medien: Mach's dir selbst

Weil die griechische "Eleftherotypia" pleite ist, veröffentlichen die Mitarbeiter sie in Eigenregie. Jetzt erscheint die zweite Ausgabe – mit deutlich gesteigerter Auflage.