taz.de -- Katholikentag in Mannheim: Im Maschinenraum der Kirche brennt's

Die Basis stellt Forderungen, die reformorientierte Pfarrerinitiave ruft in Mannheim zu „Ungehorsam“ auf. Und was machen die Bischöfe? Ängstlich nach Rom schauen.
Bild: Die katholische Basis gibt sich freizügig. Mit Unterstützung der Telekom.

BERLIN taz | Die Stimmung ist mies: Vier Jahre nach dem letzten Treffen 2008 in Osnabrück versammeln sich in Mannheim von Mittwoch bis Sonntag wieder Zehntausende katholische Christen zum 98. Deutschen Katholikentag, organisiert vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken. In der romtreuen Kirche Deutschlands mit ihren 25 Millionen Mitgliedern hat sich viel Frust und Ärger angestaut .

Erstmals haben die deutschen Katholiken auf einigen der rund 1.200 Veranstaltungen die Möglichkeit, über die Missbrauchsverbrechen in ihrer Kirche breiter zu diskutieren. Das Katholikentagsmotto „Einen neuen Aufbruch wagen“ klingt da eher wie das Pfeifen im Kirchenschiff.

Denn Krise herrscht allerorten. Neben dem weiter andauernden Missbrauchsskandal drücken der mittlerweile übliche Priestermangel und die hohen Austrittszahlen – allein im Jahr 2010 waren es rund 180.000 Katholiken.

Ein „Dialogprozess“ zwischen Laien und Bischöfen wurde in höchster Not 2011 initiiert. Aber dieses Projekt, angelegt bis 2015, entpuppe sich „zunehmend als Pseudodialog“, wie der große katholische Theologe Hans Küng jüngst in der Süddeutschen Zeitung schrieb: „Reden dürfen die Teilnehmer über (fast) alles, entscheiden aber nichts. Das Kirchenvolk soll beruhigt statt ernst genommen, die Reformverweigerung in Mannheim mit Aufbruchsgerede überspielt werden.“

Ungut in Erinnerung ist vielen engagierten Katholiken auch die Rede von Benedikt XVI. im Freiburger Konzerthaus im Herbst 2011. Darin warf der Papst seiner deutschen Kirche durch die Blume Verfettung vor und empfahl ihr „Entweltlichung“, was immer das heißt.

Es gibt eine zunehmende Diskrepanz zwischen den Forderungen der Kirchenbasis nach Reformen und den überwiegend ängstlich nach Rom lunzenden deutschen Bischöfen. Während über 300 Theologen in einem „Memorandum“ 2011 unter anderem verlangten, dass es auch verheiratete Priester und Frauen im kirchlichen Amt geben solle, sprang ihnen kein einziger deutscher Oberhirte bei.

Nun fasst die österreichische Pfarrer-Initiative auch in Deutschland langsam Raum. Sie fordert „Ungehorsam“ vom braven Kirchenvolk. Es wird schwer für den Vatikan, dieses Feuer der Reform im Maschinenraum der Weltkirche auszutreten.

16 May 2012

AUTOREN

Philipp Gessler

ARTIKEL ZUM THEMA

Rauswurf des Vatikanbank-Chefs: Benedikts Banker-Buddy

Der Chef der Vatikanbank, Ettore Gotti Tedeschi, muss nach einem einstimmigen Misstrauensvotum des Verwaltungsrates gehen. Verbittert tritt er nun nach.

Besuch beim 98. Katholikentag: Rindsroulade und Dornenkrone

70er-Sakropop, Buhrufe für einen Erzbischof, ein österreichischer Rebell und jede Menge „Dialochprozess“: Beim Katholikentag begegnen sich Kirche von unten und oben.

Angela Merkel beim Katholikentag: „Lobt, alle Völker, die Herrin“

In Mannheim wird Angela Merkel vom Kirchenpublikum begeistert aufgenommen. Über die brutale Entlassung des Umweltministers ist die christliche Gemeinde nicht empört.

Österreichs Pfarrer gegen den Vatikan: „Unsere Initiativen werden drangsaliert“

Die Forderungen sind klar, aber sie werden nicht gehört: Der österreichische Pfarrer Schüller über Mut, Drohungen, den Vatikan und die Initiative „Aufruf zum Ungehorsam“.

Katholische Kirche in Irland: Kardinal deckte pädophilen Priester

Hunderte sexuelle Übergriffe eines katholischen Priesters wurden von Kardinal Brady vertuscht. Dafür soll Brady angeklagt werden, fordern die Opfer.

Kommentar Odenwaldschule: Schluss mit den Tricks

Die Schuld der Odenwaldschule ist extrem. Das Ziel, das Vorbild für Aufarbeitung und Entschädigung zu werden, war arrogant. Denn erfüllt wird es nicht.

Katholische Kirche in Österreich: Kein Papst in Stützenhofen

Ein Schwuler im Pfarrgemeinderat, ein schnackselnder Pfarrer, ein Kardinal, der sich nicht traut: Österreichs Katholiken machen langsam drei Kreuze unter ihre Kirche.

Ultrakonservative Internetseite: Kreuz.net im Fadenkreuz

Der Verfassungsschutz hält die Webseite kreuz.net für grundgesetzwidrig. Sie zeichne sich durch homophobe, muslimfeindliche und antisemitische Beiträge aus.