taz.de -- Dietmar Bartsch: Der Skeptiker

Er ist eine Schlüsselfigur im Führungsstreit der Linkspartei: Dietmar Bartsch. Ein Ostler, ein Macher. Das Werben um Zustimmung im Westen fällt ihm nicht leicht.
Bild: Er ist zäh, gibt nicht auf: Dietmar Bartsch.

BERLIN taz | Dietmar Bartsch wirkt etwas unkonzentriert. Es ist Mittwochmittag. Katja Kipping und Katharina Schwabedissen verkünden gerade in Hannover, dass sie Parteichefinnen werden wollen. Ein flügelübergreifendes Duo. Bartschs Chancen, Chef der Linkspartei zu werden, sinken damit.

Er sitzt in seinem Berliner Büro, schaut auf sein Handy und lächelt knapp. Eine SMS, „nicht aufgeben“ stand darin. Und: „Die Basis steht hinter dir.“ Die Autogrammkarten sind ausgegangen, sagt er. Das klingt amüsiert, nicht angeberisch. Er ist Mitte 50 und wirkt wie ein großer, schlaksiger Junge.

An der Wand in seinem Büro hängt eine Lithografie von Herbert Wehner. Wehner, der die SPD regierungsfähig machte. Das passt in das Bild, das Bartschs Gegner in der Linkspartei von ihm zeichnen. Ein Opportunist, der die Partei an die SPD verhökern wird. Das Wehner-Bild stammt aus dem Altvermögen der SED. Anfang der 90er Jahre war Bartsch Schatzmeister der PDS, er hat damals auch noch einige Ölbilder von Marx aus dem Müll gerettet. In Wehner sieht Bartsch einen, der aus den Verwüstungen durch den Stalinismus klug geworden ist.

Bartsch ist schmal, eins dreiundneunzig groß. Er redet unaufdringlich, aber unverkennbar in norddeutschem Idiom. Ihn bringt nicht viel aus der Ruhe. Nur der Vorwurf, die Partei an die SPD zu verraten. „Ich bin als Kommunist beschimpft worden, jetzt als Sozialdemokrat“, sagt er. Und es bringt ihn in Rage, von wem dieser Vorwurf kommt. Von Ex-SPD-Leuten, die jetzt in der Linkspartei radikal reden und „in den 90er Jahren die PDS noch tot sehen“ wollten. „Absurd“ sagt er und legt Verachtung in seine Stimme.

Skeptisch gegenüber ideologisch Hochfahrenden

Um zu verstehen, wie Dietmar Bartsch die Welt sieht, muss man mehr als zwanzig Jahre zurückblenden. In die Zeit, als die DDR verschwand. Sein Vater war LPG-Vorsitzender und Leiter eines Agrochemischen Zentrums. Ein SED-Mitglied. Ein Ausflug in die regionale Politik, in den Rat des Kreises, blieb Episode.

Er hatte es mehr mit dem Konkreten vor Ort, sagt Bartsch. „Die Ansage: Du musst dem Genossen auf der Krim näherstehen als dem Klassenfeind im Westen, war ihm zuwider.“ Es klingt, als würde Bartsch sich selbst beschreiben. Handfest, skeptisch gegenüber ideologisch Hochfahrenden.

In der DDR wird Bartsch Nachwuchskader – nicht für eine Karriere in der Partei, sondern in der Wirtschaft. Natürlich glaubt er damals, dass die DDR das bessere Deutschland ist, der Sozialismus das überlegene System. Die DDR hat seinem Vater, 1945 Flüchtling aus dem Osten, einen sozialen Aufstieg ermöglicht. In den 80ern studiert Bartsch in Berlin Politische Ökonomie.

Erika Maier war damals seine Lehrerin und sagt: „Er war klug, aber nicht so fleißig.“ Kein Streber, ein unauffälliger Typ. Aber irgendwie flogen ihm die Karrierechancen zu. 1986 wird er ausgewählt, um in Moskau an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften zu promovieren. Nur acht aus jedem Jahrgang dürfen das.

„Gorbatschow hat mich begeistert“

So erlebt er die Agonie der DDR aus der Ferne. Dort, wo der kurze Aufbruch in einen neuen Sozialismus geprobt wurde. „Gorbatschow hat mich begeistert“, sagt Bartsch. Endlich weg von den alten Parolen. Aber er sah auch, dass die Geschäfte in Moskau leer waren. „Die Bevölkerung der DDR war im Vergleich gut versorgt“, sagt er. Das dämpfte die Euphorie für die Perestroika. Bei Bartsch ist Euphorie immer gedämpft. Ideen – gut und schön, aber funktionieren sie auch?

Im Wendeherbst 1989 wird Bartsch, jung, clever, unbelastet, nach oben gespült. Er wird Delegierter für den SED-Parteitag im Dezember 1989. Weil er gerade da ist und eine gute Rede hält. Bartsch soll als Kandidat der SED-PDS für die Volkskammer 1990 antreten, aber er schreibt lieber seine Doktorarbeit fertig. „Verteilungsverhältnisse unter den Bedingungen einer Intensivierung der sozialistischen Wirtschaft“, ein vorsichtiges Plädoyer für mehr Leistungsprinzip im Sozialismus. Ein Gutachter in Berlin lehnt die Arbeit ab, als puren Revisionismus.

1990 wird Bartsch Geschäftsführer des Verlags junge Welt, der damals noch groß war: mit Fahrdienst, Vertrieb, 15 Zeitungen und Zeitschriften, einem Buchverlag. „Das war ein Schnellkurs in Marktwirtschaft“, sagt er. Zu Treffen der Verleger im Westen fährt er mit seinem Wartburg und erschrickt über die Arroganz, die dort gegenüber dem Osten herrscht.

Als die PDS von einem Finanzskandal in den nächsten trudelt, holt sie ihn 1991 als Schatzmeister. Er habe das aus „Verantwortungsbewusstsein“ getan, sagt er heute. Und weil er es „unmöglich fand, dass viele die Idee einer anderen Gesellschaft einfach weggeworfen haben“. So begann seine Parteikarriere. Heute ist Dietmar Bartsch das Gesicht der Reformer in der Linkspartei.

Die große Desillusionierung

Der Untergang der DDR war das politische Schlüsselerlebnis in seinem Leben. Die große Desillusionierung. Daher rührt die Skepsis gegenüber volltönenden politischen Versprechungen, in denen Gut und Böse klar geschieden sind. Er hat erlebt, wie ein System implodiert. An sich selbst gescheitert, nicht am Kapitalismus.

Deshalb reagiert er kühl auf die Freund-Feind-Ansagen des linken Flügels. „Er hat keinen harten Überzeugungskern“, sagt ein Ostler, der ihn aus den frühen 90ern kennt. Dietmar Bartsch hat gelernt, die Partei als Familie zu sehen. Mit Übervätern, an denen kein Weg vorbeizuführen scheint, und mit schwierigen Verwandten im Westen. Aber Familie. Deshalb war er immun gegen Abwerbungsangebote der SPD.

Dietmar Bartschs Vita ist ohne Glamour. Er ist kein Paradiesvogel wie Gysi, dessen Vater Botschafter im Vatikan war. Bartschs Politleben hat sich im Wesentlichen im Umkreis von zehn Kilometern abgespielt: Karl-Liebknecht-Haus, Bundestag, junge Welt, Geschäftsführer beim Neuen Deutschland. Bartsch kommt aus Tribsees, einem kleinen Ort in Mecklenburg. Kürzlich war er noch mal dort, hat sich ein Fußballspiel des Tribseer SV angesehen. „Die sind gerade aufgestiegen“, sagt er. Dietmar Bartsch ist niemand, der Gefühle nach außen trägt. Aber beim Tribseer SV, wo sein Bruder Vorsitzender ist, leuchten seine Augen auf.

Am Donnerstagabend vor Pfingsten ist Regionalkonferenz der hessischen Linkspartei in Frankfurt. Knapp hundert Genossen sind da. Die Kandidaten für den Parteivorsitz sollen sich vorstellen. Es ist ein Auswärtsspiel für Bartsch. Landeschef Ulrich Wilken sagt, der Rückzug von Oskar Lafontaine habe ihn „tief getroffen“.

Jugendweihe statt Blockupy

Bevor Bartsch zum Mikrofon geht, zieht er die Jacke aus, wie ein Boxer, der in den Ring steigt. Aber er will nicht boxen. Es ist eher eine defensive, kleinteilige Rede. Er lobt die Erfolge bei der Kommunalwahl in Thüringen, wo die Linkspartei erfolgreich war, weil sie Absprachen mit der SPD getroffen hat. Er betont, die Partei müsse von unten wachsen, müsse plural sein. „Wir brauchen eine moderne Erzählung“, sagt Bartsch. „Wir müssen eine suchende, lernende Partei sein.“

Spärlicher Beifall. Die Linkspartei ist verunsichert, gerade im Westen. Bartsch bietet ihr kein Leitbild an, keine große Erzählung. Kärrnerarbeit stehe an, sagt er. Kärrnerarbeit, ein Wehner-Wort. Er sei gefragt worden, sagt Bartsch, warum er nicht bei der Blockupy-Demonstration in Frankfurt war. Antwort: Weil er, in Mecklenburg, lange zugesagt, drei Jugendweihen hatte. Und beides, Jugendweihen und Anti-Banken-Demos, gehöre zur Partei, ruft er in den Saal.

Die von Verboten und Polizei drangsalierte Blockupy-Demo war einer der wenigen Erfolge der hessischen Linkspartei der letzten Zeit. Kein Wunder, dass der Vergleich mit den Jugendweihen die Genossen nicht von den Sitzen reißt. Dietmar Bartsch hat in Frankfurt keine Chance. Und er tut auch nichts dafür, dass sich das ändert.

Viele West-Linke misstrauen ihm mit großer Intensität. Klaus Ernst, der in den letzten Tagen seines Parteichefdaseins wie ein Gewerkschaftssekretär auf Speed wirkt, brüllt in Frankfurt, dass manche fordern, „dass wir uns anpassen sollen, damit die SPD uns wieder lieb hat“. Das zielt auf Bartsch.

Rot-Rot-Grün als ferne Möglichkeit

Es gibt in der Linkspartei West auch moderatere Stimmen. Paul Schäfer, Westlinker aus NRW, ist gegen Bartsch als Parteichef. „Von seinem Naturell her“, so Schäfer, „kann er integrieren“, aber wohl nicht in dieser überhitzten Lage. Es sind die gefühlten Unterschiede, die Bartsch von vielen Westlinken trennen – weniger die völlig verschiedenen Haltungen zur SPD.

Wenn Bartsch Rot-Rot-Grün als ferne Möglichkeit in den Mund nimmt, tun manche Westlinke so, als müsse man eine Brandmauer gegen den Verrat errichten. Dabei hätten die Genossen in Hessen 2008 selbst liebend gern Rot-Grün toleriert.

Hat Bartsch eine Chance, in Göttingen Parteichef zu werden? Am Freitag hat die Hamburger Fraktionschefin Dora Heyenn ihre Kandidatur erklärt. Exsozialdemokratin, Lafontaine-Anhängerin, aber eine West-Linke, die weiß, dass radikale Sprüche nicht reichen. Sie würde mit allen KandidatInnen zusammenarbeiten, hat Heyenn erklärt. Auch mit Bartsch, der eine Frau, am besten eine Linke aus dem Westen, als Ko-Chefin braucht. Damit steigen seine Aussichten wieder. Er gibt nicht auf. Er ist zäh.

29 May 2012

AUTOREN

Stefan Reinecke

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