taz.de -- Ein neues Gedicht von Günter Grass: Deutschlands Scham
Günter Grass prangert Europas Umgang mit Griechenland an. Das neue Gedicht löst nur ein schwaches Echo aus. Jetzt wagt er sich an ein neues Thema: Das Urheberrecht.
Mutter Deutschland frisst weinend ihre kleinen Künstlerkinder, am Kopfe drückt die harte Mündung der Piraten.
Diebe, die, weil sie es sind, denken doch zu glauben, dabei glaubend denken, nur der Glaube fehlt und auch Gedanke.
Schlecht denkt, doch um so besser dünkt sich’s voller Drogen, den Blinker aufgeblendet auf der Datenautobahn:
Der Diebstahl unsrer Seele, unsres Weltenplans, der Diebstahl eines Gutes, das selbst uns nicht gehöre.
Dem Künstler neidig wie ein Jude, der saubere Christenmenschen sieht, so will er ihn zerstören.
Törichtei und Frevelmut in einer Welt voll leeren Komputergebrumms gebiert Kopie, Betrug, Betrugskopie.
Hinein das Poem in den Komputerkasten und tausendfach hinaus, Gorgonenhaupt, ich weiß nicht, wie das geht.
Das edle Dichterwort, geschändet von einer grölenden Meute Kartoffelchips nagender Hornbrillenträger.
Liegt wehrlos, nackt im Staub und wartet bange auf den nächsten Rotarmisten einer Fälschergeneration.
Manch mutiger Mann, Sven Regener, Charlotte Roche und Manuel Andrack, trat dem Pack entgegen.
Sprach „Halt“, „So nicht“ und „Nehmt uns nicht noch unser Geld, sonst leiden unsre Kinder Hunger!“
Umsonst. Umsonst ist nur der Tod, man will uns nicht, man will den Künstler liquidieren.
28 May 2012
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