taz.de -- Missbrauch an der Odenwaldschule: Empfehlung an den neuen Vorstand
Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, rät der Odenwaldschule zur Mediation. Zwischen Leitung, Trägerverein und Betroffenen fehle das Vertrauen.
BERLIN/HEPPENHEIM dpa | Im Streit über die Entschädigung der mindestens 132 Opfer sexuellen Missbrauchs an der Odenwaldschule hält der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung eine Mediation für dringend notwendig.
„Ob die handelnden Personen das bestehende Misstrauen abbauen können, da muss ich ein großes Fragezeichen machen“, sagte Johannes-Wilhelm Rörig der dpa. Eine professionelle Hilfe von außen sei an der Zeit.
„Die Aufklärung und Aufarbeitung der Odenwaldschule ist quälend lang“, sagte der 52-Jährige Jurist, der als Büroleiter von Christine Bergmann im Familienministerium die Tagungen des Runden Tischs „Sexueller Kindesmissbrauch“ begleitete.
„Für mich ist es wichtig, dass möglichst schnell zwischen der Schulleitung, dem Trägerverein, der Stiftung „Brücken bauen“ und der Betroffenen-Initiative „Glasbrechen“ ein Vertrauensfundament aufgebaut wird“.
Übergriffe sind verjährt
Die sexuellen Übergriffe von Lehrern an Schülern liegen schon Jahrzehnte zurück und sind juristisch verjährt. Sie kamen im März 2010 an die Öffentlichkeit, nachdem sie bei ersten Berichten Jahre zuvor nicht weiter verfolgt worden waren.
Die Zahl von 132 Opfern stammt aus einem Abschlussbericht von zwei Sonderermittlerinnen. Die Opferinitiative „Glasbrechen“ und auch Opferanwalt Thorsten Kahl gehen von einer wesentlich höheren Zahl aus.
Zwischen beiden Seiten, der Schule und der Stiftung auf der einen und Opfervertretern auf der anderen, war trotz mehrerer Wechsel in der Schulleitung keine Annäherung erkennbar.
Seit Mai dieses Jahres hat die Odenwaldschule wieder einen neuen Vorstandsvorsitzenden. Der ehemalige Bürgermeister von Heppenheim, Gerhard Herbert, will sich für eine bessere Kommunikation mit den Missbrauchsopfern einsetzen.
Der Vorstand
Neu in dem nun sechsköpfigen Vorstand sind außerdem der Unternehmer Carl Glauner und der Experte für Jugendfragen, Herman Rademacker.
Die Odenwaldschule im südhessischen Heppenheim gilt als eine der bekanntesten deutschen Reformschulen. Sie wurde 1910 von dem Pädagogen Paul Geheeb (1879–1961) gegründet und stellt bis heute das Lernen in Gemeinschaft in den Vordergrund.
Zu den ehemaligen Schülern des Internats gehören Prominente wie der Schriftsteller Klaus Mann oder der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit; auch Exbundespräsident Richard von Weizsäcker schickte einen seiner Söhne nach Heppenheim.
8 Jun 2012
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Seit massenhaft Missbrauchsfälle aufgeflogen sind, wird viel Geld gegen sexuelle Übergriffe auf Kinder ausgegeben. Die Opfer spüren davon nichts.
Die Odenwaldschule war die Hölle seiner Kindheit. Andreas Huckele schrieb ein Buch über den Missbrauch – und wurde dafür mit dem Geschwister-Scholl-Preis geehrt.
Das einstige Musterprojekt Odenwaldschule findet keinen Umgang mit den Opfern sexueller Gewalt. Ganz anders als die Penn State University in den USA.
Die meisten Übergriffe an der Odenwaldschule sind strafrechtlich verjährt. Die Aufarbeitung geht auf Drängen eines Opfer-Vereins aber in eine neue Runde.
Der Missbrauchsbeauftragte Walter Rörig will den Opfern keine weitere Verzögerung zumuten. Am Donnerstag beraten die Ministerpräsidenten über den Hilfsfonds.
Die Schuld der Odenwaldschule ist extrem. Das Ziel, das Vorbild für Aufarbeitung und Entschädigung zu werden, war arrogant. Denn erfüllt wird es nicht.
Zwei Jahre nach der Aufdeckung wählt die Odenwaldschule wieder einmal einen neuen Vorstand. Kommen jetzt endlich Reformer? Anzeichen dafür gibt es kaum.
Was hat die Gesellschaft begriffen nach zwei Jahren Aufdeckung von Missbrauchsfällen? Nichts. Eher im Gegenteil, zumindest wenn man die Reformpädagogik betrachtet.
Der Beauftragte gegen Kindesmissbrauch lud Opfergruppen - und traf auf verletzte, wütende Menschen. Sie fühlen sich von den Täterorganisationen betrogen.
Der Runde Tisch zu sexuellem Kindesmissbrauch tagt zum letzten Mal. Die ehemalige Beauftragte spricht über die seelischen Folgen, die sexualisierte Gewalt bei Kindern lebenslang auslöst.
Sie galt als demokratischste Schule Deutschlands, dann wurden dort die Missbrauchsfälle bekannt. Ein Spielfilm soll nun den ganzen Skandal der Odenwaldschule ausgraben.