taz.de -- Fanatismus und Fantum: Provokationen mit Bananen

In Polen zeigen sich russische Fans bislang nicht von ihrer besten Seite. Der Chef des russischen Fußballverbandes fürchtet um den guten Ruf des Landes.
Bild: Nicht überall beliebt: russische Fans.

Rabik war ziemlich überrascht. Mit so einer Geste hatte der ehemalige Chef der Fangemeinde des Moskauer ZSKA nicht gerechnet. Die hart gesottenen Fans des Armeesportklubs waren auf der Suche nach satisfaktionsfähigen polnischen „Fanaty“, mit denen sie sich im Kampf hätten messen können.

Schon vor Ort in Polen wurden ihnen die Anhänger von Widzew Lodz empfohlen, meint Rabik, der mit bürgerlichem Namen Maxim Korotin heißt. Die ZSKler staunten nicht schlecht, als ihnen die Lodzer Fans noch am Telefon vorschlugen, statt zu prügeln sich doch lieber besser kennenzulernen. Auch auf die Gefahr hin, dass es kitschig klingt. Es war der Beginn einer innigen Freundschaft.

Die Polen kommen inzwischen zu den Lokalderbys nach Moskau. Im Frühling begleiteten sie die Russen erst nach Madrid, später nach Mailand. Mindestens hundert polnische Fans seien immer dabei, wenn ZSKA ein wichtiges Spiel habe, meint Rabik.

So einvernehmlich ging es beim ersten Spiel der russischen Mannschaft gegen Tschechien in Breslau nicht zu. Russische Fans provozierten den Tschecho-Äthiopier Theodor Gebre Selassie, indem sie Bananen hochhielten. Auf russischen Fußballplätzen kommt das öfter vor. Andere warfen Feuerwerkskörper und verprügelten ein paar Aufseher.

Sergej Fursenko, Chef des russischen Fußballbunds, sieht den guten Ruf seines Landes in Gefahr und appellierte an die Fans, sich nicht von ihrer schlechtesten Seite zu zeigen. „In Polen sind die Gesetze um einiges härter als in Russland“, meinte Fursenko. Schwang da im Unterton nicht etwa mit, dass das Gesetz in Russland humaner ist? Oder besser seine Anwendung von Beziehungen und Zufällen abhängt und nicht jeden Frevler trifft?

Abschreckend wirkte die Schelte des Funktionärs jedenfalls nicht. Aber auch sein Hilfsangebot an die heimischen Fans klang nicht überzeugend. Jeder wisse schließlich, worauf er sich einlasse.

Russland gegen Polen

Die große Feuerprobe erwartet Warschau Dienstagabend beim Spiel Russland gegen Polen. Moskau begeht am 12. Juni den Tag Russlands, der ein Feiertag ist. Es feiert seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion, deren Zusammenbruch Kremlchef Wladimir Putin noch unlängst für die „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ hielt. Niemand weiß, was an diesem Tag gewürdigt wird.

An den Untergang der UdSSR werden unterdessen im Herzen Warschaus auch die russischen Fans erinnern, die sich im Zentrum sammeln und geschlossen zum Stadion ziehen. In russischen Bloggs kündigen Fans unterdessen an, beim Abspielen der Hymne im Stadion Papierflugzeuge fliegen zu lassen mit der Aufschrift „Smolensk“.

Vor zwei Jahren war ein Flieger mit der polnischen Elite beim Anflug auf das westrussische Smolensk abgestürzt, die der bei Katyn im Zweiten Weltkrieg von Stalin ermordeten Intelligenz gedenken wollte. Russlands aggressiven Fans geht es nicht um Politik und Geschichte. In der Wunde wollen sie bohren, scharfmachen. Sie haben noch keinen Kontakt nach Lodz.

12 Jun 2012

AUTOREN

Klaus-Helge Donath
Klaus-Helge Donath

TAGS

Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Tribüne
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Schwerpunkt Fußball-EM 2024

ARTIKEL ZUM THEMA

Rassismus im ukrainischen Fußball: Das mühsame Öffnen der Türen

Pawel Klimenko kämpft gegen Rassismus in ukrainischen Stadien. Das kann lebensgefährlich sein. Fußballfunktionäre und Politiker leugnen das Problem.

Kolumne Ostwärts Immer: Ein Freund für einen Tag

Zu Gast im Charkower Plattenbau – grün ist es dort. Und auch der Schnaps im Nachbarschaftszentrum mit angeschlossenem Wettbüro darf nicht fehlen.

Ukraine bei der Fußball-EM: Der große Unberechenbare

Oleg Blochin ist für seinen harten Umgangston bekannt und trainiert die ukrainische Nationalelf. Alles Nieten, sagt er, aber vielleicht sind sie für eine Überraschung gut.

Kolumne Ostwärts Immer: Vierbeinige Überlebende

Das Zählen der Straßenhunde fällt schwer. Die systematische Ausrottung der räudigen Streuner ist offensichtlich nicht zu Ende gebracht worden.

Geschichte der Europameisterschaft: Deutsche Tugend, deutsche Sehnsucht

Netzer 1972, Vogts 1996, Löw 2012: Erst wenn Deutschland nicht Europameister wird, wird man wissen, ob das deutsche Fußballpublikum auf der Höhe seines Teams ist.