taz.de -- Konterrevolution in Ägypten: Militär übernimmt Macht
Nach der Auflösung des Parlaments hat der Militärrat die Kontrolle über die Gesetzgebung und den Haushalt übernommen. Ergebnisse der Präsidentenwahl vom Sonntag werden für Donnerstag erwartet.
KAIRO afp | Einen Tag nach Auflösung des Parlaments in Ägypten hat der regierende Oberste Militärrat die Kontrolle über Gesetzgebung und Haushalt übernommen. Dies ging aus einer „Verfassungserklärung“ der seit Februar 2011 regierenden Militärs hervor, die der Nachrichtenagentur AFP in der Nacht zum Montag vorlag. Ein neues Parlament soll demnach erst gewählt werden, wenn eine neue Verfassung per Referendum gebilligt wurde.
Das Verfassungsgericht hatte am Donnerstag das Wahlgesetz für die jüngste Parlamentswahl in weiten Teilen für illegal erklärt, daraufhin hatte der Militärrat am Samstag das von Islamisten dominierte Parlament offiziell für aufgelöst erklärt.
Mit zweistündiger Verspätung ging derweil am Sonntagabend die zweite Runde der Präsidentschaftswahl zu Ende. Zu der Stichwahl traten Mohammed Mursi von den Muslimbrüdern und Ahmed Schafik an, der letzte Regierungschef des im Februar 2011 gestürzten Machthabers Husni Mubarak.
In der ersten Runde der Präsidentschaftswahl Ende Mai war Mursi mit 24,7 Prozent der Stimmen auf den ersten Platz vor Schafik gekommen, der 23,6 Prozent erhielt. Die Abstimmung, die zwei Tage nach der umstrittenen Entscheidung zur Auflösung des Parlaments stattfand, wurde von scharfen Sicherheitsvorkehrungen begleitet. Erste offizielle Ergebnisse werden erst am Donnerstag erwartet.
##
Das Verfassungsgericht hatte am Donnerstag mehrere Artikel des Wahlgesetzes für verfassungswidrig und damit die Zusammensetzung des Parlaments für unrechtmäßig erklärt. Zugleich bestätigte es die Rechtmäßigkeit der Kandidatur Schafiks. Mit der Entscheidung zur Annullierung der Parlamentswahl stellte das Gericht den gesamten Zeitplan zur Übergabe der Macht vom Militärrat an eine demokratisch gewählte Regierung in Frage.
Am Samstag erklärte der Militärrat das von Islamisten dominierte Parlament offiziell für aufgelöst. Die Freiheits- und Gerechtigkeitspartei der Muslimbrüder übte scharfe Kritik an dem Schritt. Die Auflösung des Parlaments zeige „den Willen des Militärrats, die gesamte Macht an sich zu ziehen“, erklärte die Partei. Sie forderte ein Referendum über die Auflösung der Parlaments.
Kommentatoren wiesen am Sonntag darauf hin, dass der neue Präsident sein Amt in einem rechtlichen Vakuum antritt. Mit dem Parlament wurde auch die Kommission zur Ausarbeitung der neuen Verfassung aufgelöst, in dem eigentlich die Rechte des Präsidenten und der anderen Institutionen festgelegt werden sollten.
Hier der [1][Blogbeitrag] des taz-Ägypten-Korrespondenten Karim El-Gawhary.
18 Jun 2012
LINKS
ARTIKEL ZUM THEMA
In Ägypten scheint das Militär das „Modell Türkei“ zu wählen: Dort machten das Militär die gewählten zivilen Politiker zu Befehlsempfängern des Generalstabs.
Wozu wählen gehen, wenn nur die Wirtschaft zählt? Die alten Demokratien sind den Wahlhype bereits leid, während sich Leute im Nahen Osten dafür erschießen lassen.
Der Ausgang der Präsidentenwahl bleibt umstritten. Die Generäle kann der künftige Staatschef nicht antasten. Sie behalten volle Legislativgewalt und wollen auf Immunität pochen.
Parlament aufgelöst, Präsidentenamt ausgehöhlt: Das ägyptische Militär hat sich zur unantastbaren Institution gemacht. Der Plan ist, das das auf Jahrzehnte so bleibt.
Das Militär hat die Macht wieder übernommen. Die Kairoer Regisseurin Laila Soliman über Enttäuschung und darüber, warum dennoch viel gewonnen ist.
Die Muslimbrüder, stärkste politische Kraft des Landes, sehen untätig zu, wie das Militär ihnen per Parlamentsauflösung die Errungenschaften der Revolution nimmt.
Es gibt einen klaren Gewinner: Die Überreste des Mubarak-Systems. Und einen klaren Verlierer: das Parlament, die einzige demokratische Institution Ägyptens.
Das Oberste Gericht in Kairo erklärt das ägyptische Wahlgesetz für verfassungswidrig und löst das Parlament auf. Der Kandidat des Militärs bleibt in der Stichwahl.
Bei der Präsidentenwahl haben die Ägypter nur zwei Möglichkeiten: Sie können entweder gegen einen neuen Diktator oder gegen die Muslimbrüder stimmen.