taz.de -- Ägyptens neuer Präsident: Muslimbruder statt Mubarak
Nach tagelanger Unsicherheit steht der Präsident der größten arabischen Republik fest: Mohammed Mursi. Das Militär hat sich auf die Verkündung des Ergebnisses vorbereitet.
KAIRO taz | Der neue ägyptische Präsident heißt Mohammed Mursi. Es war schon fast ein Stück Folter, bis der Chef der Wahlkommission am Sonntagnachmittag nach der Durcharbeitung zahlreicher Beschwerden endlich das offizielle Wahlergebnis verkündete. Der Muslimbruder Mursi gewann 51,7 Prozent der Stimmen. Sein Kontrahent Ahmad Schafik erhielt 48,2 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei 51 Prozent.
Dass die Ergebnisse erst jetzt, fast eine Woche nach Schließung der Wahllokale verkündet wurden, hatte in Ägypten zu wilden Spekulationen geführt, dass der Militärrat zusammen mit der obersten Wahlkommission etwas auskocht. Die Wahlkommission hatte sich damit gerechtfertigt, dass sie zuerst alle Einwände prüfen musste.
Doch bereits mehrere Tage zuvor hatte die Zeitung Al-Ahram auf ihrer Webseite die Ergebnisse aller 13.000 Wahllokale veröffentlicht, zusammen mit der Unterschrift der Richter, die die Urnen beaufsichtigt hatten. Das waren die Ergebnisse, die den Kandidaten vorgelegt wurden, um ihre Einsprüche anzumelden. Danach lag Mursi 900.000 Stimmen voraus, und selbst die späteren Einwände Schafiks bei 144 Wahllokalen, hätten die Differenz nicht überbrückt.
Vor wenigen Tagen hatte die Wahlkommission dann verkündet, dass die Einwände das Ergebnis nicht maßgeblich beeinflusst haben. Die Anhänger der Muslimbrüder feierten ihren Kandidaten bereits seit Montag als Sieger. Aber auch Ahmed Schafik gab Mitte der Woche eine Pressekonferenz, in der er sich selbst zu Sieger deklariert hatte.
Wieviele Rechte?
Selbst nachdem Ägypten nun einen Präsidenten hat, bleibt die Frage, wie viele Rechte dem nominell obersten Amt des Staates verblieben sind. In der Übergangsverfassung, die das Militär unmittelbar nach der Schließung der Wahllokale letzten Sonntag veröffentlich hatte, waren Teil der Rechte des Präsidenten beschnitten und dem obersten Militärrat übertragen worden. Außerdem sicherten sich die Generäle die Unantastbarkeit durch alle gewählten politischen Institutionen.
Neben der Frage, wer Präsident wird, wurde in der Presse letzte Woche auch über mögliche Verhandlungen hinter den Kulissen spekuliert. Die Rede war von angeblich hochrangigen Gesprächen zwischen der Militärführung und den Muslimbrüdern. Das Militär soll von den Muslimbrüdern gefordert haben, die Übergangsverfassung zu akzeptieren. Die Muslimbrüder sollen verlangt haben, dass die Auflösung des Parlamentes rückgängig gemacht wird.
Im ursprünglichen Parlament hatte die Partei der Muslimbrüder, die Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, fast die Hälfte der Sitze. Der mögliche Kompromiss, über den geredet wurde, war, dass die Muslimbrüder, zumindest vorläufig, die Übergangsverfassung der Militärs anerkennen. Im Gegenzug würde das Parlament nicht aufgelöst werden, und nur ein Drittel der Sitz ständen zur Wiederwahl. – das Drittel, das nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichts illegal besetzt worden war, weil ein Drittel der Abgeordneten parteilos hätten sein müssen.
Die größte Angst ist nun, dass die Wahlverlierer auf die Straße gehen könnten. Bereits am Samstag hatten zehntausende Anhänger Schafiks im Kairoer Vorort Madinat Nasr dessen angeblich bevorstehenden Sieg gefeiert. „Wir werden das Ergebnis der obersten Wahlkommission respektieren und wir erwarten von allen zivilisierten Ägyptern, es uns gleichzutun“, hatte Ahamd Sarhan, der Sprecher Schafiks, am Samstag zwar noch erklärt, allerdings mit dem sicheren Gefühl, dass sein Kandidat gewonnen hat.
Verstärkte Sicherheitsmaßnahmen
Das ägyptische Militär hatte sich auf die Verkündung des Ergebnisses vorbereitet und die Sicherheitsmaßnahmen in Kairo massiv verstärkt.
Innerhalb von 48 Stunden muss nun das alte Kabinett des vom Militär eingesetzten Premiers Kamal Ganzouri aufgelöst werden. Danach muss Mursi seine Regierung vorstellen. Schon wenige Tage vor seinem Sieg hatte sich Mursi mit anderen linken und liberalen Vertretern getroffen, darunter mit dem Internetaktivisten Wael Khalil, Ahmed Maher und der Fernsehmoderator Hamdy Qandil.
Spekuliert wird auch, ob der ehemalige Chef der Atomenergiebehörde al-Baradei ein Amt übernehmen könnte.
24 Jun 2012
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