taz.de -- Bosnien und Herzegowina: EU beendet Polizeimission
Nach neun Jahren zieht die EU ihre Polizisten aus Bosnien und Herzegowina ab. Zuletzt war nur Anleiten, Beobachten und Beraten angesagt. Stabil ist das Land noch nicht.
SARAJEVO taz | Im 14. Stock des Unitic-Geschäftsgebäudes in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo herrscht Abschiedsstimmung. Manche Schreibtische sind schon seit einigen Tagen leergeräumt. Nach neuneinhalb Jahren machte die European Union Police Mission (EUPM) am 1. Juli den Laden dicht.
Der 54-jährige Chef der Europäischen Polizeimission in Bosnien und Herzegowina, Stefan Feller, ist ein Polizist mit langer Erfahrung auf dem Balkan, er war im Kosovo im Einsatz und hat die Mission in Bosnien seit 2008 geführt.
Doch von der Verfolgung von bosnischen Polizisten, die nach zuverlässigen Aussagen der Opferverbände während des Krieges an den Verbrechen 1992–95 beteiligt waren, will er nichts wissen.
Feller will die ihm vorgelegten Namen gar nicht sehen. „Unsere Mission hat nichts mit der Verfolgung von Kriegsverbrechern zu tun, wir hatten als Mission gar keine exekutiven Befugnisse“, sagt er.
Anleiten, beraten, beobachten
Die Mission sei mit fast 400 Polizisten und Mitarbeitern aus EU-Staaten, auch Drittstaaten und einheimischen Kräften bestückt gewesen. „Wir haben die bosnischen Polizeikräfte und Justizbehören lediglich beraten und unser Hauptaugenmerk auf die Bekämpfung der Korruption gelegt.“ Anleiten, beobachten und beraten, das sei die Aufgabe der Mission gewesen.
Stefan Feller ist kein knallharter Polizist. Machogebärden liegen ihm nicht. Er ist ein nachdenklicher und liberal eingestellter Mann, der nach Ansicht seiner Untergebenen die Mission mit Umsicht und politischem Fingerspitzengefühl geleitet hat.
Mit diesem Profil kam er in den vergangenen Jahren den politischen Vorgaben Brüssels entgegen. Seit 2007 sollte die Mission nicht mehr Speerspitze für die politische Reform Bosnien und Herzegowinas sein.
Eingeschränktes Mandat
Die als Nachfolgerin der UN-Polizei im Januar 2003 gestartete EU-Polizeimission hatte zwar von Beginn an ein eingeschränktes Mandat, doch der damalige Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft, der Brite Paddy Ashdown, wollte mit Hilfe der EUPM eine Polizeireform im Lande durchsetzen, die den Interessen der nationalistischen Eliten entgegengesetzt war.
So sollte im Lande eine unabhängige und multinationale Polizei aufgebaut werden, die nicht mit nationalistischen Abgrenzungen belastet sein sollte.
Nicht einmal die Drohung, nur mit der Polizeireform könnte das Assoziierungsverfahren mit der EU eingeleitet werden, schüchterte die Nationalisten ein.
EU-Polizei „entpolitisiert“
Vor allem der Ministerpräsident des serbischen Teilstaates, Milorad Dodik, blockierte alle Reformversuche. Und ihm gelang es sogar, die konfliktscheue EU-Administration in Brüssel auf seine Seite zu ziehen. Mit der Ablösung Ashdowns Anfang 2007 wurden die Aktivitäten der EU-Polizei „entpolitisiert“.
Bosnien und Herzegowina gehört auch deshalb nach wie vor zu den korruptesten Ländern in Europa. Und das Land ist politisch keineswegs stabil. Die Radikalisierung der politischen Landschaft in Serbien bereitet nicht nur Sicherheitsexperten aus der Nato Sorge. Feller ist dennoch mit seiner Mission zufrieden.
Die Ausbildungsprogramme, die Hilfestellungen in Bezug auf Ausrüstung und Modernisierung der Strukturen sowie die ständigen Kontakte vor Ort habe zur Professionalisierung der Polizei im Lande beigetragen, erklärt er zum Abschied. Die digitalisierten Akten sollen zudem in Brüssel gelagert und nicht, wie damals von der UN-Polizei, größtenteils vernichtet werden.
1 Jul 2012
AUTOREN
ARTIKEL ZUM THEMA
Der Sozialdemokrat Zeljko Komsic protestiert gegen eine geplante Verfassungsänderung. Diese, so meint er, stärkt erneut die nationalistischen Kräfte.
Das serbische Verfassungsgericht beschneidet die Rechte der multiethnischen Provinz Vojvodina. Deren Vertreter bezeichnen das Urteil als politisch und wollen sich wehren.
30.000 Menschen gedenken des Massakers an 8.372 Muslimen vor 17 Jahren in Srebrenica in Bosnien und Herzegowina. Zur Versöhnung tragen Gendenkfeiern nicht viel bei.
Unabhängig wurde Kosovo schon vor viereinhalb Jahren, allerdings schränkte das Ausland die Souveränität stark ein. Jetzt ist der jüngste europäische Staat voll und ganz unabhängig.
In bosnischen Gemeinden soll Karadzic keinen Völkermord veranlasst haben. Von diesem Punkt der Anklage ist er freigesprochen worden. Die Anklage wegen Srebrenica bleibt.
Eigentlich wäre die Gegend um den See, den Wasserfall und die grünen Hügel bei Jajce ein ideales Urlaubsgebiet. Wenn da nicht die Minen wären.
Ratko Mladic, schlimmster europäischer Kriegsverbrecher seit 1945, muss schon wieder nicht vor Gericht. Seiner Verteidung sollen Dokumente vorenthalten worden sein.
In Bosnien erinnern auch die damaligen Kriegsreporter an den Krieg. Die meisten haben danach Afghanistan und Irak erlebt und sich jüngst in Libyen wieder getroffen.
Die Hauptstraße Sarajevos ist in ein Meer roter Stühle getaucht. Die Stadt erinnert an den Kriegsbeginn vor 20 Jahren, als auf Friedensaktivisten geschossen wurde.
Nichts erinnert in Omarska heute an die ermordeten Bosniaken. Rezak Hukanovic will das ändern. Nur knapp überlebte er 1992 das serbische Todeslager Omarska.