taz.de -- Spanien ist Europameister: Spanien, wer sonst?

Ein großartiges Finale endet mit einem verdienten Sieger. Denn dort, wo andere das Limit erreicht haben, kann Spanien immer noch eins drauflegen. Und ein Ende ist nicht in Sicht.
Bild: Das kann noch lange so weiter gehen. Und das darf es auch.

Das Spiel: Mit einem Wort: großartig! Schon das [1][Vorrundenspiel] zwischen Spanien und Italien war eines der besten des Turniers. Das Finale aber übertrifft alles, was diese – insgesamt recht gute – EM zu bieten hatte. Und ganz nebenbei ist es zeitweilig das beste und abwechslungsreichste Turnierfinale seit – Gott allein weiß, seit wann.

Großartig ist namentlich die erste Halbzeit: Schnelle Spielzüge, häufige Ballbesitzwechsel, selbst die auffällig vielen Abspiel- und Stockfehler, die beiden Mannschaften unterlaufen, sprechen nicht gegen, sondern für das Niveau dieser Partie. Man setzt sich gegenseitig unter Druck und zwingt den Anderen zu Fehlern. Einen Gerard Piqué in der spanischen Abwehr muss man erstmal tunneln können. [2][Antonio Cassano] (und später [3][Mario Balotelli]) können es.

Die Spanier spielen nicht wie [4][gegen Portugal] mit [5][Alvaro Negredo] im Sturm, sondern, wie schon im [6][Auftaktspiel], ohne echten Stürmer und Cesc Fàbregas als [7][„falscher Neun“]. Sie versuchen, ihr gewohntes Kurzpassspiel durchzuziehen, weichen aber angesichts einer forsch in der gegnerischen Hälfte angreifenden italienischen Mannschaft auch immer wieder auf lange Zuspiele und Flankenwechsel aus. Die Italiener wiederum verstecken sich nicht, sondern versuchen von Anfang ihr Glück nach vorn, oft mit langen Bällen. Diese Taktik ist riskant, führt aber zu einem wunderbaren Fußballspaß.

Dann, 14. Minute: Andrés Iniesta spielt einen göttlichen Steilpass quer durch die italienische Abwehr zu Fàbregas auf der rechten Seite. Der läuft bis zur die Linie, schlägt aus der Drehung eine exakte Flanke und David Silva köpft zum 1:0. Bei diesem Angriff spielen drei Spanier acht Italiener aus.

Doch Italien schreckt nicht zurück. [8][Andrea Pirlo] bringt einige gefährliche Ecken, Cassano schießt einige Male wütend aufs Tor, wobei Torwart Iker Casillas nicht immer sicher wirkt. Kurz vor Ende der Halbzeit schießt auch Balotelli, von dem nicht so viel zu sehen ist wie im [9][Halbfinale gegen Deutschland].

Italien läuft Sturm – und Spanien kontert. In der 41. Minute spielt Xavi Hernández einen Zuckerpass auf Linksverteidiger Jordi Alba, der eine Lücke in der Abwehr entdeckt hat und über 60 Meter in den Strafraum gesprintet ist. Alba ist als erster am Ball, wird noch mal schneller, steht allein vorm Tor von Gianluigi Buffon und schiebt den Ball cool ins linke Eck. 2:0! Zuvor haben die Italiener ihren Innenverteidiger Giorgio Chiellini verloren, der sich ohne Fremdeinwirkung verletzt hat. Für ihn kommt Federico Balzaretti.

Das Halbzeitergebnis geht in Ordnung, entspricht in dieser Höhe aber nicht dem Spielverlauf. Zur Pause bleibt das Gefühl: Diese Messe ist noch nicht gelesen. Und es bleibt die Frage: Können die Italiener ihr kräftezehrendes Spiel durchhalten? Nach der Pause bringt [10][Trainer Cesare Prandelli] Antonio Di Natale für Cassano, der gleich zwei gute Gelegenheiten hintereinander hat. In der 51. Minute steht Di Natale frei vorm Tor, aber jetzt zeigt Casillas, was er kann. Dann kommt noch Thiago Motta für Riccardo Montolivo.

Der entscheidende Moment: In der 62. Minute, wenige Minuten, nachdem er ins Spiel gekommen ist, verletzt sich Motta und kann nicht mehr weiterspielen. Und Italien kann nicht mehr wechseln. Zur Erinnerung: Es ist Finale, es ist Spanien, es steht 0:2 und das in Unterzahl? Was keine Mannschaft der Welt bewerkstelligen könnte, können auch die Italiner nicht.

Danach ist das Spiel nicht mehr dasselbe. Auch ohne Unterzahl wären den Italienern vermutlich irgendwann die Kräfte ausgegangen, aber jetzt geht nichts mehr. Sie verteidigen, so gut es geht, sogar Balotelli muss hinten aushelfen. Aber die Spanier können jetzt ungefährdet ihr Spiel durchziehen: 3:0 der eingewechselte Torres nach einem Zuspiel von Xavi; 4:0 der ebenfalls eingewechselte Juan Mata nach einem Pass von Torres. Am Ende darf sogar Sergio Ramos versuchen, per Hackentrick ein Tor zu erzielen. Das haben die Italiener [11][nach diesem Turnier] nicht verdient. Der Schlusspfiff ist für sie Erlösung.

Der Spieler des Spiels: Xavi. Nachdem er im [12][Halbfinale gegen Portugal] nach einer eher schwachen Leistung auswechselt wurde, ist er wieder der Denker im Mittelfeld. Er dirigiert mit Bravour das spanische Spiel, hat einige gute Chancen und liefert zwei Torvorlagen.

Die Pfeife des Spiels: Eigentlich Trainer Prandelli. Frühzeitig braucht er sein Auswechselkontingent auf und kann, als er muss, nicht mehr wechseln. Noch schwerwiegender: Seine Taktik, nicht erst abzuwarten, sondern von Anfang mit offensivem Pressing vorzugehen, beschert uns zwar ein schönes Fußballspiel, seiner Mannschaft aber einen 0:2-Rückstand zur Pause. Andererseits: An diesem Tag hätte er jede andere Taktik wählen können, am Ende hätte doch das Team seines Gegenübers [13][Vicente del Bosque] gewonnen.

Deshalb entlassen wir den Trainer als Pfeife des Spiels und wählen stattdessen Linksverteidiger Andrea Barzagli. Ein Kopfbalduell gegen David Silva zu verlieren, muss man erstmal hinkriegen.

Die Schlussfolgerung: Auch nach einem [14][durchwachsenen Turnier] können die Spanier noch groß aufspielen. Wo andere ihr Limit erreicht haben, können sie noch nachlegen. Als erste Mannschaft der Welt haben sie nun drei bedeutende Turnier hintereinander gewonnen. Das hat noch keine europäische (und keine südamerikanische) Mannschaft geschafft. Dazu: zehn K.O.-Spiele in Folge ohne Gegentor, unbesiegt, schier unbezwingbar, unsterblich und zum [15][Niederknien schön]. Und so lange es beim FC Barcelona so läuft, wie es in den vergangenen Jahren gelaufen ist, ist kein Ende abzusehen.

Und sonst? David Villa und Carles Puyol, die verletzungsbedingt nicht im Kader waren, stehen Ende der zweiten Halbzeit am Spielfeldand und smsen diese Nachricht in die Welt hinaus – könnte ja sein, dass es jemand nicht mitbekommen hat. Aber keine Sorge, wir haben es mitbekommen. Und dafür sagen wir: Gracias, España! Danke, dass wir euch zusehen durften. Und wer das immer noch langweilig findet, soll bügeln gehn.

2 Jul 2012

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AUTOREN

Deniz Yücel

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