taz.de -- Muslimverband gegen Beschneidungsurteil: Notfalls vor Gericht

Eine gesetzlich geschützte Regelung für die Beschneidung von Jungen fordert der Koordinationsrat der Muslime. Kommt die nicht, wird der Gang vor das Bundesverfassungsgericht erwogen.
Bild: Einschränkung der Religionsfreiheit: Koordinationsrat-Sprecher Kizilkaya kritisiert das Kölner Beschneidungsurteil.

KÖLN dapd | Nach dem umstrittenen Beschneidungs-Urteil gehen die muslimischen Verbände in die Offensive und erwägen den Gang vor das Bundesverfassungsgericht.

Darüber beraten derzeit die Unterorganisationen des Koordinationsrates der Muslime (KRM), wie KRM-Sprecher Ali Kizilkaya am Mittwoch in Köln sagte. In einer gemeinsamen Erklärung riefen die Verbände den Bundestag auf, die Rechtsunsicherheit schnellstmöglich zu beheben und eine gesetzlich geschützte Regelung für die Beschneidung von Jungen zu erlassen.

Das Landgericht Köln hatte in einem vor wenigen Tagen veröffentlichten Urteil die Beschneidung von kleinen Jungen aus religiösen Gründen als eine Körperverletzung und damit als Straftat gewertet. Bei Muslimen und Juden löste die Entscheidung einen Sturm der Entrüstung aus. Auch Spitzenpolitiker wie Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) und Vertreter anderer Religionen äußerten sich kritisch.

Zum Koordinationsrat gehören zahlreiche muslimische Verbände, darunter die türkisch-islamische Union Ditib, der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) und der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland. Das Gremium wertete das Urteil am Mittwoch als einen Rückschritt in Sachen Integration. „Die Religionsfreiheit wird eingeschränkt“, sagte Kizilkaya. „Über vier Millionen Muslime in Deutschland bekommen nicht unbedingt das Gefühl, dass sie ihre Religion praktizieren können.“ Das gelte auch für Juden.

Muslimische Eltern, die die Beschneidung den Angaben zufolge privat finanzieren, stünden nun vor einem Gewissenskonflikt. „Wir wollen keinen Beschneidungs-Tourismus ins Ausland“, warnte Kizilkaya. Das nicht am gesellschaftlichen Konsens orientierte Urteil müsse korrigiert werden.

4 Jul 2012

ARTIKEL ZUM THEMA

Beschneidungspraxis in Schweden: Keine Küchentisch-Chirurgie

In Schweden ist die Beschneidung von Jungen erlaubt – doch viele Ärzte verweigern sie. Die Dunkelziffer der illegalen Eingriffe ist hoch. Todesfälle hatten Diskussion ausgelöst.

Ist Beschneidung eine Körperverletzung?: Einschnitte in Fleisch und Frieden

Jurist Holm Putzke wirkt sehr zufrieden. Seine Expertise verunsichert Ärzte. Rabbiner sehen jüdisches Leben bedroht. Wieder einmal.

Schlagloch Beschneidung: Beschnittene Meinung

Polemik über das Abendmahl? Verboten. Meine erste Zensurerfahrung.

Religiöse Riten in der Praxis: Beschneidungen und andere Traumata

Der irakische Schriftsteller Najem Wali war zwölf, als er in seiner Heimat Amara unters Messer kam. Für die taz erinnert er sich, wie das damals vor sich ging.

Kinderchirurg zu Beschneidungs-Urteil: „Beschneider reiben sich die Hände“

Das Kölner Beschneidungsurteil sei gefährlich, meint Kinderchirurg Hikmet Ulus. Laien würden den Eingriff auf Küchentischen und in Kellern durchführen.

Urteil zu religiösen Beschneidungen: Jüdische Klinik setzt Eingriffe aus

Die Chirurgen des Jüdischen Krankenhauses in Berlin sind vom Kölner Urteil verunsichert. Sie haben deshalb Beschneidungen bis auf weiteres ausgesetzt.

Kölner Beschneidungsurteil: Der Kampf um die Vorhaut

Das Kölner Landgericht kämpft mit seinem Beschneidungsurteil für intakte Geschlechtsorgane. Es stellt aber auch die Frage, wie anders man sein darf.