taz.de -- Kulturkritik: Kuscheltiere im Stahlbad
Die Kritik an der Kultur setzt sich zu unkritisch mit dem Kulturerbe der Nazizeit auseinander. Vor lauter Lieber zur Ironie übersieht sie ihr wahres plump–reaktionäres Gesicht.
„Im Zeichen des Hakenkreuzes“ verfing sich Jan Küveler in der gestrigen Ausgabe der Welt. Küveler mühte sich, eine Parallele zwischen dem Sänger Evgeny Nikitin, der sich einst ein Hakenkreuz auf die Brust hatte tätowieren lassen, und daher nicht in Bayreuth singen durfte, und Jonathan Meese zu ziehen, der, so Küveler, „ungefähr zur selben Zeit, als Eva und Katharina Wagner den anstößig tätowierten Sänger feuerten beziehungsweise ziehen ließen“, von ebenjenen gedungen wurde, im Jahr 2016 den Wagner’schen „Parsifal“ zu inszenieren.
Die Parallele bietet sich an. Denn die Wagner-Familie, Nikitin und Meese beschäftigen sich mit dem Hakenkreuz. Nikitin leugnet sein nun überstochenes Tattoo oder tut es als Jugendsünde ab. Die Wagner-Familie gesteht selten ein, dass Richard Wagner ein Judenhasser war und dass die Vorfahren Adolf Hitler mehr als nur hofiert haben.
Meese schließlich malt Hakenkreuze und Eiserne Kreuze oder zeigt den „Hitlergruß“. Auf seiner Homepage verkündet nun Meese: „Die Bühne Bayreuth muss sich ausdehnen, erst über Deutschland, dann Europa, dann über die ganze Welt und im ganzen Universum, bis diese miese, mickrige Realität vollkommen totalliebevollst verdrängt ist!“ Das Nazilied „Es zittern die morschen Knochen“ wird hier zitiert und „totalliebevollst“ verniedlicht. Heraus kommt öde Provokationskunst – mit rechtem Einschlag.
Was macht der Kulturbetrachter aber mit solchen Sätzen? Er will Bedeutung in sie hineinhubern, das Offensichtliche aber nicht sehen. Küveler etwa schreibt, dass Meese die Demokratie zwar hasse und den Faschismus verehre, doch das mache ihn „nicht zum Nazi […], sondern bloß zu einem der wichtigsten Künstler, die in Deutschland zurzeit herumlaufen. Denn er predigt eine Kuscheltierzeit, die sich in Stahlbädern gewaschen hat.“ Nehmen wir das ernst, so ist Meese der „wichtigste Künstler“, weil er die Demokratie hasst und den Faschismus liebt. Das will der Autor zwar gar nicht sagen, es unterläuft ihm aber, erschöpft von der Anstrengung, Meese nicht ernst nehmen zu wollen.
Dieser Fehler ist für die Kulturkritik symptomatisch. Auch in den Texten von Botho Strauß oder Martin Mosebach wurde von der Kritik das Reaktionäre als Pose interpretiert, bis es sich trotz aller Anstrengung nicht mehr leugnen ließ. Strauß und Mosebach stritten dabei ihre politischen Ansichten nie ab.
Das Problem der aktuellen Kulturbetrachtungsmaschinerie zeigt sich hier ganz: Man nimmt nichts ernst, man hält alles für Ironie. Man will nicht sehen, was man sieht. Man will etwas in ein Werk hineindeuten, weil man nicht glauben mag, dass das Reaktionäre plump ist. Darüber wird man schließlich ganz verrückt. Die Reaktion dagegen macht fröhlich weiter. Von der Kritik wird sie nicht gestört.
9 Aug 2012
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Wie Botho Strauß zum berüchtigten Dichter wurde und sich inzwischen wieder etwas lockerer macht. Ein intellektueller Außenseiter wird 70.
Die Kulturseiten einer Zeitung waren für die bürgerlichen Gesellschaften dazu da, Geschmack herzustellen. Heute sind sie ein bornierter Ramschladen. Wie ist das passiert?
Zum 300. Geburtstag von Jean-Jaques Rousseau an seinen Lebensschauplätzen. Highlights sind Spaziergänge durch die Regionen am Genfer, Neuenburger und Bieler See.
Auf der Tagung zum deutschen Kulturradio ging es vor allem um die Selbstbeweihräucherung der Branche. Protestierende „Radioretter“ wurden kaum wahrgenommen.
Warum stehen wir Schlange für ein profanes Brötchen mit Gemüse? Irgendeinen Grund muss es geben, denn die Dönerbude am Mehringdamm 32 ist berühmt. Ein Erfahrungsbericht.