taz.de -- Kommentar Eurokrise in den Niederlande: Ein zweites Spanien?

Norden gut, Süden schlecht – dieses simple Schema der Eurokrise gilt nicht mehr. Ausgerechnet die Niederlande haben abgewirtschaftet.
Bild: Erstaunlich deutliche Worte: EU-Kommissar Günther Oettinger

In der Eurokrise haben wir uns an Schwarz-Weiß-Malerei gewöhnt: im Süden die sündigen Schuldenländer, im Norden die tugendhaften Sparmeister. Und mittendrin das alles beherrschende Deutschland, das mit den Nordländern gemeinsame Sache macht und einen harten Sparkurs für ganz Europa durchsetzt.

Doch dieses simple Schema gilt nicht mehr. Ausgerechnet der wichtigste deutsche Verbündete steht auf der Kippe: die Niederlande. Die Regierung in Den Haag, die mit dem Rechtspopulisten Geert Wilders gemeinsame Sache machte, hat abgewirtschaftet. Bei der Wahl am 12. September deutet sich ein politischer Erdrutsch an.

Nach den letzten Umfragen liegen die Sozialisten vorn - und deren Parteichef Emile Roemer sagt Dinge, die man in Berlin gar nicht gern hören wird. Er will nicht nur die EU-Sparvorgaben lockern und erreichen, dass die Niederlande zwei Jahre Aufschub erhalten. Statt wie bisher geplant 2013 will er das Budgetdefizit erst 2015 unter die Drei-Prozent-Marke drücken.

Roemer kündigte zudem an, dass er sich über mögliche EU-Strafen wegen der Verfehlung des Defizitziels hinwegsetzen will. „Nur über meine Leiche“, sagte er in einem Zeitungsinterview, die angedrohten Sanktionen seien „lächerlich“. Das passt so gar nicht zum Klischee des sparsamen Holländers, und noch weniger zur deutschen Spardoktrin.

Dabei hat der Mann recht. Es wäre in der Tat sinnlos, den Niederlanden neue Sparprogramme aufzuzwingen, um den Drei-Prozent-Fetisch zu bedienen. Denn das Land, das Deutschland mit seinem „Poldermodell“ lange als Vorbild galt, steckt in einer tiefen Krise. Holland ist in die Rezession gerutscht, neue Streichorgien würden sie nur verschärfen.

Die Lage erinnert an Spanien vor zwei Jahren: ähnlich wie die Spanier leiden die Niederländer unter einer Immobilien- und Bankenkrise. Ähnlich wie vor zwei Jahren in Madrid ist die Lage in Den Haag zwar ernst, aber nicht hoffnungslos. Noch können die Holländer den Fehler der Spanier vermeiden, sich durch prozyklische Austeritätspolitik kaputtzusparen. Doch in Berlin will man davon nichts wissen. Nach einem Kurzbesuch in Den Haag lobte Wirtschaftsminister Philipp Rösler den „gemeinsamen deutsch-niederländischen Kurs“. Dass es genau dieser Kurs ist, der der die Eurozone in den Abgrund führt, hat der FDP-Mann immer noch nicht begriffen.

19 Aug 2012

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Eric Bonse

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EU-Kommission
Niederlande

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