taz.de -- Tacheles 1: Die Gebliebenen: Der Kampf ist aus
Er macht am Ende das Licht aus: Martin Reiter, der letzte Vorstand des Tacheles-Vereins, will sich nicht mehr wehren.
Wenn Martin Reiter dieser Tage die Treppen im Tacheles hoch-und runtereilt, tut er es allein. Keine fünf Wochen ist es her, da musste sich der 49-Jährige mit den langen, angegrauten Locken durch Touristen drängeln. Jetzt sind nur noch ab und an einige Künstler im düsteren, vollgekritzelten Treppenhaus zu sehen. Meist tragen sie Kisten mit ihren Habseligkeiten aus dem Haus.
Das Bauamt hat das Gebäude gesperrt, wegen Brandschutzmängeln, nach Anzeige des Zwangsverwalters. Der will am Dienstag räumen. Komplett. Seit Monaten kauft ein Anwalt Künstler aus dem Haus, die anderen verloren im Juni vor Gericht. Ein gutes Dutzend Mal sollte schon geräumt werden, seit 1990 ein paar Künstler die Kaufhausruine besetzten und das Tacheles, wo zur Hochphase hundert Menschen malten, hämmerten und feierten, zur Institution der Berliner Offkunst wurde, zum Freiraum schlechthin. Als Millionen Berliner und Touristen kamen und irgendwann nur noch Touristen. Diesmal ist es ernst.
Jahrelang predigte Martin Reiter Durchhalteparolen, in breitem Wienerisch und nicht ohne Selbstdarstellung. 1993 war er ins Tacheles gekommen, bastelte Roboter, wurde zum Vorstand, zum letzten. Weil danach im bis aufs Handgreifliche verstrittenen Verein keine gültige Wahl mehr zustande kam. Reiter klagte gegen die Räumung, drohte mit Hungerstreik, feilschte mit der Politik, träumte von einer Stiftung, die das Haus kaufen könnte. Jetzt kämpft er nicht mehr.
Das Tacheles – es ist wieder Ruine. Sicherheitsleute patrouillieren durchs Haus, ganze Etagen haben sie abgesperrt. Nur im Erdgeschoss öffnen noch zwei Läden mit selbstbedruckten T-Shirts und Postkarten, in der Ecke rattert ein Generator. Strom gibt es schon länger nicht mehr.
Auf dem Bürgersteig klappen Südamerikaner kleine Tische auf, selbstgefertigte Ohrringe und Ketten, ein Mann trommelt holprig. Hinter ihnen gab es mal einen Durchgang zum Hof des Tacheles – seit anderthalb Jahren steht hier eine Mauer. In der vergangenen Woche haben die Sicherheitsleute auch noch die Stände zerlegt, die davor standen. Vor dem Treppenhaus sitzt ein Mann und vertröstet Touristen, die immer noch scharenweise ins Haus wollen.
Martin Reiter und die anderen Künstler dürfen vorbei. Aber das Tacheles ist fast leer. Im dritten Stock, am Ende eines dunklen Flurs, sitzen ein paar Schmuckbastler, zwei spielen Schach. Reiter huscht weiter über die breiten Treppen, ins oberste Stockwerk. Auf dem überdachten Balkon zeigt er, fast erleichtert, ein großes Bild, eine Landschaft ineinander verschlungener Tiere. Der Weißrusse Alexander Rodin male gerade daran. Der letzte größere Name im Haus. Dann blickt Reiter nach unten, wo im Hof eine Handvoll Künstler an Metallskulpturen werkelt, eingezäunt, nur über Schleichwege zu erreichen. Das Ende des Tacheles, sagt er, sei ein Verlust für die Stadt, nicht für die Künstler. Er werde schon einen Platz finden. „So wie alle anderen, die ein Thema haben. Wer keins hat, war vielleicht kein Künstler.“
Schlüssel für Wowereit
Bereits vor Wochen hatten die Tacheles-Leute aufgegeben, symbolisch einen Schlüssel ihres Hauses an Klaus Wowereit geschickt. Der Regierende Bürgermeister und Kultursenator in Personalunion verweist nur noch auf den Denkmalschutz und den Bebauungsplan, der eine Kunstnutzung des Hauses festschreibt. Von den jetzigen Nutzern spricht er schon lange nicht mehr.
Reiter hält sich mit seiner Enttäuschung nicht bei Wowereit auf. Das ganze System sei erledigt. Die Politik habe längst die Macht an die Banken abgegeben. Im Fall Tacheles ist es die HSH Nordbank. Seit der Insolvenz einer Immobiliengruppe des Adlon-Besitzers Anno August Jagdfeld zwangsverwaltet sie das Haus. Eigentlich eine Steilvorlage: Banker gegen Anarchokünstler. Doch nicht mal zum Widerstandssymbol der Verdrängten reichte es mehr, zu abgenabelt war der Tacheles-Kosmos schon.
Ein Mann mit langen, blonden Haaren, Anfang vierzig, der sich als Sturmius vorstellt, gesellt sich zu Reiter. Straßenkünstler sei er, sagt er, seit vier Jahren im Tacheles. Vielleicht sei noch nicht alles vorbei, man habe doch ein Konzept, eine Universität für freie Kunst, könne das sofort umsetzen. Reiter lehnt auf dem Geländer, hört schweigend zu. Dann schüttelt er langsam seine Locken: „Man muss auch wissen, wann man verloren hat.“
Unten knipsen immer noch Touristen die Ruine. Gegenüber schiebt das indische Großrestaurant die Heizpilze raus, ein Cabrio hält davor. Für das Tacheles hat man hier keinen Blick mehr.
31 Aug 2012
AUTOREN
ARTIKEL ZUM THEMA
„Irgendwann haben sich die Leute verschlissen“, sagt ein ehemaliger Besetzer des Berliner Tacheles. Nach 22 Jahren ist die Bauruine geräumt worden.
Am Dienstagmorgen war es soweit: Das Berliner Kunsthaus Tacheles wurde unter friedlichem Protest geräumt. Wie es dort weitergeht, ist unklar.
Das Verschwinden des Kunsthauses Tacheles wird Berlin verändern. Die Frage ist nur wie? Ein letzter Rundgang und ein Blick zurück.
Die Künstler, die dem Tacheles schon länger den Rücken gekehrt haben, trauern dem Projekt nicht hinterher.
CDU-Baustadtrat fühlt sich im Streit um die Touristen-Attraktion vom Zwangsverwalter instrumentalisiert. Auch in Kreuzberg sieht man sich von Eigentümern "missbraucht". Das Tacheles ist geschlossen - und soll im September geräumt werden.
Nach der Niederlage vor Gericht bereiten sich die verbliebenen Künstler auf die Räumung vor - und übergeben Klaus Wowereit symbolisch den Schlüssel zum Haus