taz.de -- Bericht über Gaddafis letzte Stunden: Blutige Rache in Sirte
Es gibt neue Zeugenaussagen zum Tod des Diktators Muammar al-Gaddafi. Human Rights Watch legt sie in einem Bericht vor.
BERLIN taz | Fast pünktlich zum ersten Todestag des ehemaligen libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) einen neuen Bericht über die Ereignisse am 20. Oktober 2011 vorgelegt.
Zwar ist bereits bekannt, dass Gaddafi und sein Sohn Mutassim in der Stadt Sirte von Rebellen aus der über Monate hinweg belagerten Hafenstadt Misurata getötet wurden und diese anschließend ein Massaker an Dutzenden seiner Begleiter verübten. Doch in ihrem Bericht „Tod eines Diktators: Blutige Rache in Sirte“ legt HRW neue Beweise vor. Dabei handelt es sich um mit Handys aufgenommene Videos von Rebellen sowie Interviews.
Einer der Zeugen ist Mansur Dhao, ein hoher Sicherheitsoffizier, der den Angriff von Nato-Flugzeugen und Rebellen auf den Konvoi überlebte, mit dem Gaddafi und seine Getreuen aus der belagerten Stadt Sirte fliehen wollten.
Dhao beschreibt das Leben in wechselnden Verstecken – ohne Strom, Wasser, Kommunikationsmöglichkeiten und mit wenig Nahrung, worüber sich Gaddafi zunehmend ärgerte. Detailliert wird der Ausbruchsversuch beschrieben, der am frühen Morgen des 20. Oktober stattfinden sollte, sich aber so verzögerte, dass die nachts abgezogenen Rebellen bereits wieder ihre Positionen eingenommen hatten.
Flucht durch den Abwasserkanal
Ein weiterer Zeuge, Yunis Abu Bakr Yunis, einer der Söhne des ehemaligen Verteidigungsministers, schildert die Flucht aus dem letzten Unterschlupf der Überlebenden, denen zu diesem Zeitpunkt keine Fahrzeuge mehr zur Verfügung standen, sowie den Versuch, sich in Sicherheit zu bringen, indem sie durch eine Abwasserleitung krochen. Doch auf der anderen Seite standen bereits die Rebellen.
Einer ihrer Kommandanten, Khalid Ahmed Raid, beschreibt das Chaos, das ausbrach, als der bereits durch Splitter verletzte Gaddafi gefunden und misshandelt wurde: „Uns war klar, dass ein Gerichtsverfahren nötig war, aber wir konnten nicht alle zurückhalten, einige waren völlig außer Kontrolle.“
HRW zweifelt die offizielle libysche Darstellung an, wonach Gaddafi bei einem Schusswechsel getötet wurde, auch wenn der Bericht die genauen Todesumstände nicht klären kann.
18 Oct 2012
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Ein Jahr nach Gaddafis Tod greifen die einstigen Aufständischen dessen letzte Anhänger an. „Wir werden alle verhaften“ ist das Motto.
Die libysche Nationalversammlung hat einen langjährigen Gegner Gaddafis zum Regierungschef gewählt. Ali Sidan setzte sich mit 93 der 179 Stimmen knapp durch.
Augenzeugen beschreiben, was am 11. September vor dem US-Konsulat in Bengasi geschah, als der Botschafter getötet wurde. Vor dem Angriff war er gewarnt worden.
Das Parlament entlässt Ministerpräsident Abushargur und lehnt sein Kabinett ab. Die Krise geht einher mit einer drastisch verschlechterten Sicherheitslage.