taz.de -- Inklusion unterfinanziert: Schulsenator hat sich geirrt

Die Zahl der Kinder mit Lernförderbedarf bleibt auch nach der vom Senator angedrohten Überprüfung höher als einkalkuliert. Nun soll ein Erziehungswissenschaftler eine Lösung finden - fürs kommende Schuljahr.
Bild: Haben zum Teil viel zu wenig Mittel für Inklusion: Stadtteilschulen.

Dieser Streit zog sich durchs ganze vergangene Jahr: Ist die Inklusion lernbehinderter Kinder in Hamburg unterfinanziert? Oder melden einfach nur die Schulen mehr Schüler als früher als förderbedürftig an? Letzteres hatte Schulsenator Ties Rabe (SPD) vehement behauptet. In dieser Woche nun präsentierte er die Statistik fürs laufende Schuljahr. Und darin wird deutlich, dass es bei den hohen Zahlen bleibt.

Rabe hatte seit Publikwerden der Anmeldezahlen für die 5. Klassen im März 2012 mehrfach angekündigt, man werde überprüfen, ob wirklich so viele Kinder einen Förderbedarf im Bereich Lernen, Sprache und Emotionale Entwicklung (LSE) haben. Denn hamburgweit waren es 6,6 Prozent. Seine Behörde gibt den Schulen in einem neuen Ressourcenmodell aber nur Förderstunden für unterstellte fünf Prozent der Kinder. An den meisten Stadtteilschulen ist dies viel zu wenig. Einige haben sogar 20 oder 30 Prozent LSE-Schüler.

Rabes Ergebnis ließ lange auf sich warten. Doch nun ist klar, dass es bei den Zahlen bleibt. „Es sind so viele gewesen“, sagt Rabes Sprecher Peter Albrecht. Dies mache den Senator „ratlos“. Er gehe aber immer noch davon aus, dass sich die Maßstäbe bei der Beurteilung verschoben haben. Denn noch 2009, vor Inkrafttreten des Inklusionsparagrafen, hatte Hamburg nur vier Prozent LSE-Kinder, von denen die meisten auf Sonderschulen gingen. Der Wissenschaftler Karl-Dieter Schuck habe empfohlen, von 4,3 Prozent auszugehen. Bei besagten fünf Prozent habe man also schon höher kalkuliert.

Schuck ist Experte für Inklusion. Rabe hat ihn nun beauftragt, die Veränderungen an den Schulen zu analysieren. Er soll fürs nächste Schuljahr Lösungen vorschlagen. Es könne sein, dass mehr Ressourcen nötig sind, oder dass auf ein anderes Verteilungssystem umgestellt wird, sagt Peter Albrecht. Fürs laufende Jahr habe man zwölf Schulen je eine halbe Stelle zusätzlich gegeben.

Diese sechs Stellen seien viel zu wenig, kritisiert die Grünen-Abgeordnete Stefanie von Berg. Die Stadtteilschulen seien teilweise Notstandsgebiet. Sie hatte kürzlich einen „Inklusionsfonds“ in Höhe von 13 Millionen Euro gefordert, in welchen die kaum an der Inklusion beteiligten Gymnasien schuleigene Restmittel einspeisen sollten.

„Die Stadtteilschulen dürfen mit der Inklusion nicht allein gelassen werden“, moniert auch Sigrid Strauß vom Vorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Alle Klassen, in denen Kinder mit Förderbedarf lernen, bräuchten eine Doppelbesetzung.

22 Feb 2013

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Kaija Kutter

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